am 10. Juni 2023 • von Jürg Sohm
Für den Fischhändler Toshihiko Yoshino begann der Streit um den Atommüll an einem Morgen im August 2020. Es war die Zeit des buddhistischen O-Bon-Festes, Ferienzeit in Japan. Der Fischmarkt auf der anderen Seite der Bucht im Zentrum von Suttsu hatte zu.
Yoshino hatte deshalb etwas mehr Zeit als sonst. Später würde er die Strasse am Meer runterfahren und sein Austernrestaurant aufschliessen, sein zweites Geschäft neben dem Laden. Wegen der Pandemie war nicht viel Kundschaft zu erwarten, aber das war ja auch vorher oft so gewesen, denn wer kannte schon Suttsu, seine Heimatstadt, 2700 Einwohner, im vergessenen Süden der Nordinsel Hokkaido.
Seine Frau brachte Reis und Lachs. Er schlug die «Hokkaido Shimbun» auf, die grösste Zeitung der Präfektur, die eher selten über Suttsu berichtet. Dann sah er die Überschrift. «Atommüllendlager. Stadt Suttsu erwägt Antrag auf Studie. Bürgermeister: ‹Es geht um die Finanzen.›» Die Wut durchfuhr Toshihiko Yoshino wie ein Stromschlag. Er weiss noch, was er spontan über den zitierten Verwaltungschef Haruo Kataoka dachte: «Vollidiot!»
Es ist dann schlimmer gekommen, als Toshihiko Yoshino erwartet hatte. Damit kommt er nicht durch, habe er damals gedacht. Aber im Oktober nach der Enthüllung reiste der Bürgermeister tatsächlich nach Tokio. Er übergab beim Wirtschaftsministerium die Bewerbung als möglichen Standort eines Endlagers für hoch radioaktiven Atommüll.
Und jetzt ist Suttsu also nicht mehr nur irgendein verschlafenes, friedlich vor sich hin alterndes Fischerdorf, sondern das Symbol für Japans kompliziertes Ringen um die Zukunft mit demografischem Wandel und dem Vertrauen in die Kernenergie.
Das Hinterland stirbt langsam aus. Und die Nation braucht einen Ort, an dem sie ihren strahlenden Müll für die nächsten hunderttausend bis eine Million Jahre versenken kann. So ist es gekommen, dass der Bürgermeister seine Stadt Suttsu retten will, indem er sie verseucht. So sieht das jedenfalls der Fischhändler Yoshino.
Er sitzt im Nebenraum seines Ladens zwischen Holzkommoden und Urkunden, die ausweisen, dass sein getrockneter Fisch ein echtes Hokkaido-Produkt ist. Toshihiko Yoshino ist jetzt 63 Jahre alt, er trägt Sportkleidung und Gummistiefel, Lachfältchen umrahmen seine Augen. Er ist eigentlich kein wütender Mensch. Die Veränderungen, die mit den Jahrzehnten über die Gemeinde kamen, haben ihn nie wirklich aus der Ruhe gebracht. Wer aus Suttsu kommt, ist Härten gewohnt, den kalten Wind, die tosende See, die Schneemassen im Winter, die Abwanderung.
Den gesellschaftlichen Wandel spürte er, schon kurz nachdem er in den Achtzigern den Gemischtwarenladen seiner Eltern übernommen hatte. Supermarktketten verdrängten die Traditionsgeschäfte. Er musste etwas anbieten, was die gut sortierten Kaufhäuser nicht hatten. Er stellte auf Fischverarbeitung um – und überlebte.
Mit der richtigen Idee ist der strukturschwache Raum gar nicht so strukturschwach, das ist Yoshinos Erfahrung. Er sah, wie Suttsu kraftloser wurde. Es gab immer weniger Kinder, dafür immer mehr Alte. Irgendwann stellte die Stadt das jährliche Austernfest ein. Bei ihm aber ging es voran. Seine Frau und er hatten zwei Söhne, den Laden, bald das Austernrestaurant. Und als das städtische Austernfest nicht mehr stattfand, veranstaltete er einfach sein eigenes. Beschwerden? Keine.
Yoshino fand auch die Windräder gut, die Suttsus schneidenden Sturm, den sogenannten Dashikaze, in Strom und staatliche Zuschüsse verwandelt. Der unabhängige Bürgermeister und Windkraft-Förderer Kataoka, seit 2001 im Amt, war ihm irgendwann zu abgehoben, aber das war eigentlich egal. Und wenn sich im Sommer das beruhigende Blau des Meeres zum Horizont hin erstreckte und drum herum der Bergwald in kräftigem Grün stand, fand er die Schwächen der Gegend erst recht nicht mehr schlimm.
«Die Menschen hier haben wenig Einkommen», sagt Toshihiko Yoshino. «Trotzdem. Wir haben einen schönen Sonnenuntergang. Das Essen schmeckt. Uns fehlt eigentlich nichts.» Heile, einsame Welt.
Mit der Zeit dachte er, dass Suttsu daraus was machen könnte. Warum nicht die Stadt über soziale Medien als Ruheort für Stadtmenschen vermarkten? «Die Abgeschiedenheit kann auch attraktiv sein», sagt Toshihiko Yoshino. Er findet, das hätte was werden können, aber dann kam diese Atommüll-Geschichte.
Japan und die Atomkraft. Das ist eine komplizierte Beziehung. Seit 1966 bezieht der Inselstaat Energie aus Kernkraftwerken. Bis zum 11. März 2011 produzierten 54 Reaktoren 30 Prozent des japanischen Stroms. Alle hatte man an der Küste gebaut, in die Nähe von Kühlwasser, drei davon sind ganz in der Nähe von Suttsu, im Kernkraftwerk Tomari, etwa 50 Kilometer nordöstlich.
Riskant war das immer, denn Japan ist so anfällig für Erdbeben wie kaum ein anderes Land, und an besagtem 11. März 2011 passierte es dann ja auch: Das Grosse Ostjapan-Erdbeben löste einen Tsunami aus. Riesenwellen prallten auf das Kraftwerk Fukushima Daiichi. Kernschmelze in drei Reaktoren. Mehr als 470’000 Menschen mussten damals ihre Heimat verlassen. Der letzte Evakuierungsbefehl wurde erst im vergangenen Sommer aufgehoben. Der Rückbau der Ruinen mit dem hoch radioaktiven Inneren wird noch Jahrzehnte dauern.
Trotzdem setzt Japan weiter auf die Kernkraft. Die konservative Regierung zählt sie zu den grünen, weil im direkten Betrieb abgasfreien Technologien der Energiegewinnung und sieht sie als Pfeiler der Klimapolitik. Kurz nach der Katastrophe in Fukushima wurden zwar alle Kraftwerke abgeschaltet, aber mittlerweile laufen wieder einige. Nach Angaben des «World Nuclear Industry Status Report», einer unabhängigen Experten-Plattform, waren im April 2023 wieder zehn japanische Reaktoren in Betrieb.
Erst im Februar beschloss das Kabinett in Tokio, dass auch Reaktoren in Betrieb bleiben dürfen, die älter als 60 Jahre sind. Modernere Kraftwerke sollen dazukommen. Es wird also immer mehr Atommüll geben.
Bisher hat Japan den hoch radioaktiven Müll immer nach Grossbritannien und Frankreich verschifft zur Wiederaufbereitung. Der Müll, der nicht recycelt werden kann, wird mit Glas verschmolzen, um ihn zu binden, dann in Spezialbehältern aus Edelstahl eingeschlossen und zurück nach Japan gebracht, ins Zwischenlager Rokkasho in der Präfektur Aomori. Aber das reicht auf Dauer nicht, zumal Rokkasho auch mal als Wiederaufbereitungsanlage funktionieren soll.
Die Endlager-Frage ist also aktueller denn je. Und sie ist so ungelöst wie fast überall; Finnland baut auf der Insel Olkiluoto das weltweit erste Endlager für hoch radioaktive Abfälle.
Die Organisation für Atommüll-Management (Numo) sucht im Auftrag der japanischen Regierung nach einer Lösung. Sie ist mit Suttsus Bewerbung befasst und arbeitet seit November 2020 an der Literaturstudie, also einer ersten Untersuchung am Schreibtisch, um festzustellen, ob es überhaupt Sinn ergibt, die kleine Stadt als Endlager-Standort in Betracht zu ziehen.
Mehr als zwanzig Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen prüfen die Dokumente und Daten aus lokalen Einrichtungen oder von Universitäten, um mehr über die Nähe zu Vulkanen oder aktive Bruchstellen im Untergrundgestein zu erfahren – über Faktoren also, die ein Endlager unsicher machen würden. Es gibt noch einen zweiten Ort, an dem so eine Prüfung läuft: das Dorf Kamoenai, 60 Kilometer nördlich von Suttsu, 800 Einwohner. Sowohl in Kamoenai als auch in Suttsu hat Numo ein Büro eröffnet.
Hier können Einheimische Fragen stellen. Ausserdem organisiert Numo Veranstaltungen zur Aufklärung. «Wir reden und informieren nur», sagt Katsuhisa Sueki vom Numo-Büro in Suttsu. Er ist ein freundlicher Mann, der eine Rugbyjacke trägt und eigentlich aus Tokio kommt. «Wir versuchen nicht, Meinungen zu ändern.»
Von wegen, sagt Toshihiko Yoshino: «Die Numo-Leute sind nett. Die zwingen natürlich niemanden, aber das ist eine Art …» Er will nicht sagen Gehirnwäsche, aber so ähnlich.
Die Schiebetür zu Toshihiko Yoshinos Arbeitszimmer öffnet sich einen Spalt weit, eine Hundeschnauze erscheint. Es ist Koto, einer der beiden Beagles des Fischhändlers. Yoshino war eigentlich immer mehr Hundeliebhaber als Kernkraftgegner. Bevor 1985 der Bau des Atomkraftwerks in Tomari begann, gab es grosse Demonstrationen. Er war damals nicht dabei. Er war da gerade mit seinem Studium und den ersten Berufserfahrungen beschäftigt, in Sapporo.
«Ich war ein zwanzigjähriges Kind.» Später trat er sogar in die LDP ein, in Japans konservative, kernkraftbefürwortende Dauer-Regierungspartei. «Für einen selbstständigen Ladenbesitzer war das selbstverständlich.» Was die Partei ausser einer starken Wirtschaft wollte, interessierte ihn nicht sehr. Erst die Endlager-Entscheidung des Bürgermeisters Kataoka hat ihn verändert. Sie hat ganz Suttsu verändert. «Die Bürgerschaft ist total gespalten», sagt Toshihiko Yoshino.
Haruo Kataoka, Jahrgang 1949, ist ein ganz anderer Typ, Anzugträger, ordentlich frisiertes graues Haar. Er verströmt die Aura eines Gutsherren. Kataoka stammt aus der Grossstadt Asahikawa, studierte in Tokio, arbeitete dort zunächst als Verkäufer unter anderem im Möbelgrosshandel. Nach Suttsu kam er, weil der damalige Bürgermeister seinen Bruder kannte.
Kataoka wurde Stadtbeamter, als der Bürgermeister starb, kandidierte er. Er gewann und blieb. Bei den darauffolgenden vier Bürgermeisterwahlen hatte er nicht mal Gegenkandidaten. Unter ihm schien immer genug Geld da zu sein. Neues Krankenhaus, neue Turnhalle, neues Gemeindezentrum. Wichtige Einnahmequellen: die Zuschüsse aus der Windkraft und die sogenannte Heimatsteuer, eine Art Spende, die Grossstadtbewohner in Japan von ihrer Wohnsitzsteuer absetzen können, wenn sie Provinzgemeinden unterstützen wollen.
Aber Kataoka fürchtete, dass die Regierung Zuwendungen streichen könnte nach den teuren Hilfsprogrammen gegen die Folgen der Pandemie. Als Standort für einen Offshore-Windpark wurde Suttsu nicht berücksichtigt. Da wurde er auf die Endlager-Sucher aufmerksam.
Das ist zumindest die Geschichte, die man lokalen Medien und Erzählungen entnehmen kann. Der Bürgermeister selbst gibt keine Interviews mehr. Auf Nachfrage antwortet das Rathaus schriftlich: Die Entscheidung des Bürgermeisters, Suttsu als Endlager-Standort anzubieten, beruhe «auf verschiedenen Erwägungen», Grund seien unter anderem «die durch das Coronavirus verursachten Schäden für die lokale Wirtschaft». Kurz gesagt: Es geht ums Geld.
Der nette Herr Sueki im Numo-Büro bestätigt, dass allein schon besagte Literaturstudie, also die Prüfung zur Vorprüfung, die im 3-Stufen-Prozess der endgültigen Tauglichkeitsprüfung vorausgeht, viel Geld bringt für die kleine, überalterte Stadt. Sueki sagt: «Man bekommt bis zu zwei Milliarden Yen.» Umgerechnet sind das etwa 13,9 Millionen Euro. Auch Toshihiko Yoshino kennt das Gerücht, dass Kataoka nur die Zuschüsse für die Studie wollte und dass er davon ausgeht, dass das Endlager nie nach Suttsu kommt. «Seine Anhänger sagen das», sagt Yoshino, «der Bürgermeister sagt das öffentlich natürlich nicht. Das wäre ja Betrug.»
Schon seltsam, dass ausgerechnet zwei kleine Orte am Südzipfel Hokkaidos die ersten Kandidaten sind im Wettbewerb «Japan sucht das Atommüllendlager». Hokkaidos Regierung ist grundsätzlich gegen die Lagerung von Atommüll in der Präfektur. Und die Japan-Karte zur Endlager-Tauglichkeit spricht auch nicht für Suttsu und Kamoenai. Numo brachte die Karte 2017 heraus. Gelb sind darauf die ungeeigneten Gegenden, grün die geeigneten. In der Gegend um Suttsu sieht es ziemlich gelb aus. Vom Kamoenai-Gebiet ist nur ein Zipfel grün.
Vielleicht hatte Kataoka nie vor, die Menschen in Suttsu über seine Endlager-Entscheidung zu informieren. Es sieht jedenfalls nicht so aus, als sei der Zeitungsartikel vom 13. August 2020 seine Absicht gewesen. «Das hat die ‹Hokkaido Shimbun› nur mitbekommen, weil ein Kyosanto-Mitglied das durchsickern liess», sagt Yoshino. Kyosanto ist die Kommunistische Partei Japans (KPJ), die einzige linke Partei von Bedeutung im rechtslastigen Inselstaat.
Und das indiskrete Mitglied war wohl Junko Kosaka, die einzige KPJ-Vertreterin im Stadtrat. Yoshino hat selbst gehört, wie Kataoka sie bei einer Bürgerversammlung wegen der Enthüllung kritisierte. Yoshino greift nach seinem Handy, sucht kurz, wählt. «Kosaka-san … Yoshino hier, guten Tag, bei mir ist gerade eine europäische Zeitung wegen der Endlager-Sache … Ich habe denen von Ihnen erzählt … hätten Sie Zeit?»
Der nächste Tag ist kalt und windig, kräftige Wellen schlagen ans Land. Der Bus, der an Werktagen sechsmal am Tag von Iwanai nach Suttsu fährt, ist fast leer. Unbeeindruckt rotieren die Windräder. Einige Felder sehen verwildert aus, vermutlich weil alte Landwirte keine Nachfolger gefunden haben.
Junko Kosaka wartet an der Endhaltestelle, eine schmale 74-Jährige mit Stoffhut und Maske. «Das ist mein Auto», sagt sie und zeigt auf ihr Elektrofahrrad. Sie wohnt ganz in der Nähe am Waldrand. Der kurze Spaziergang führt an einem klotzigen Gebäude vorbei. «Das ist unsere Oberschule, wir haben Angst, dass sie schliessen muss.» Der jüngste Jahrgang habe mit nur gerade 19 Schülerinnen und Schülern begonnen.
Wenig später in ihrem Wohnzimmer muss Junko Kosaka dann klarstellen, dass sie mit der Geschichte damals nicht direkt zur Zeitung gegangen sei. «Ich habe nur Leuten in Suttsu davon erzählt.» Zuvor hatte Kataoka dem Stadtrat in mehreren Beratungssitzungen seine Pläne zur Endlager-Bewerbung erläutert. «Er hat von Anfang an gesagt: Nur die Studie kommt, nicht das Lager.» Junko Kosaka war trotzdem dagegen, und als Kataoka ohne echte Bürgerbeteiligung ernst zu machen schien, wollte sie nicht einfach nichts tun. Die Nachricht verbreitete sich. Irgendwann stand sie auf Facebook und fiel Redaktoren der «Hokkaido Shimbun» auf.
Seit zwölf Jahren sitzt Junko Kosaka im neunköpfigen Stadtrat von Suttsu, meistens stand sie mit ihrer Meinung allein gegen einen Block von Männern, die alles durchwinkten, was Kataoka wollte. Aber in der Endlager-Frage ist sie nicht mehr allein.
Der parteilose Yoshiki Echizenya wechselte zum Beispiel gleich auf ihre Seite. Von den fünf lokalen Wirtschaftsverbänden im Ort wandten sich zwei – der Tourismus-Verband und die Fischverarbeitungsgenossenschaft – von Bürgermeister Kataoka ab. Bei der Bürgermeisterwahl 2021 gewann Kataoka nur knapp gegen Echizenya. Danach gab es Petitionen gegen das Wahlergebnis, weil Kataoka sich die Stimmen einer Pflegeeinrichtung für Menschen mit Behinderung erschlichen haben soll. Vergeblich.
Seit zwölf Jahren sitzt Junko Kosaka im neunköpfigen Stadtrat von Suttsu, meistens stand sie mit ihrer Meinung allein gegen einen Block von Männern, die alles durchwinkten, was Kataoka wollte. Aber in der Endlager-Frage ist sie nicht mehr allein.
Der parteilose Yoshiki Echizenya wechselte zum Beispiel gleich auf ihre Seite. Von den fünf lokalen Wirtschaftsverbänden im Ort wandten sich zwei – der Tourismus-Verband und die Fischverarbeitungsgenossenschaft – von Bürgermeister Kataoka ab. Bei der Bürgermeisterwahl 2021 gewann Kataoka nur knapp gegen Echizenya. Danach gab es Petitionen gegen das Wahlergebnis, weil Kataoka sich die Stimmen einer Pflegeeinrichtung für Menschen mit Behinderung erschlichen haben soll. Vergeblich.
In der Stadt boykottierten Endlager-Gegner anfangs das Mode- und Kurzwarengeschäft des Handelskammerpräsidenten, weil der auf Kataokas Seite war. Im Oktober 2020, kurz bevor Kataoka die Bewerbung für die Endlager-Studie in Tokio abgab, warf dann jemand einen Molotowcocktail auf sein Haus. Der Täter wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Er geht auf die 80 zu und wohnt in Junko Kosakas Nachbarschaft. «Er traut sich nicht mehr raus», sagt sie. Endlager-Gegner wiederum fürchteten Übergriffe von Rechtsradikalen. Junko Kosaka hat deshalb mittlerweile eine Überwachungskamera am Haus anbringen lassen.
Auch Junko Kosaka findet, dass die Entscheidung des Bürgermeisters den Frieden in Suttsu zerstört hat. Auf den ersten Blick sieht man das nicht. Keine Protestplakate hängen in den leeren Strassen, keine Aktionen werden angekündigt. Viele trauen sich nicht, eine Meinung zum Endlager zu haben, weil jeder jemanden kennt, mit dem er es sich nicht verscherzen will.
Aber durch die kleine Stadt wabert die Verunsicherung. Zwei Jahre sollte die Literaturstudie dauern, ehe ein Referendum entscheiden soll, wie es weitergeht. Die zwei Jahre sind längst um, offiziell ist nichts klar. Und selbst der nette Numo-Mann gibt zu: «Ich kann nicht sagen, dass es überhaupt keine Spaltung gibt.»
War es das wert? Zwei Milliarden Yen für eine zerstrittene Stadt? «Wir wissen nicht, was der Bürgermeister denkt», sagt Junko Kosaka. Sie habe ihn mal gefragt, ob das nicht Betrug sei, Zuschüsse für eine Endlager-Studie einzustreichen und gleichzeitig zu behaupten, das Endlager komme ohnehin nicht. «Er hat geantwortet: Zuschüsse haben keine Farbe.» Kataoka scheint wirklich verzweifelt gewesen zu sein bei seiner Suche nach Geld für Suttsu.
«Schon das Wort Atommüll ist nicht gut für das Image der Stadt», sagt Toshihiko Yoshino in seinem Fischladen. Schlechter Deal also. Er hofft, dass sich der Streit am Ende einfach erledigt. Aber wer weiss. «Wenn man einmal auf der Bühne ist, kommt man nicht mehr runter.»
Auch schlechte Ideen können mächtig werden, vielleicht ist die Mehrheit am Ende doch dafür. «Davor habe ich Angst.» Dabei hatte Toshihiko Yoshino eigentlich nie Angst in Suttsu.
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