von Björn Hartmann (Berlin) • 14. April 2023
Mitte April ist Schluss. Deutschland steigt aus der Atomenergie aus und setzt künftig vor allem auf erneuerbare Energien. Doch andere Länder wie China bauen neue Kernkraftwerke. Weltweit arbeiten Unternehmen an Konzepten für neuartige Anlagen, die billiger und effizienter sein sollen. Fast macht sich eine neue Atomeuphorie breit wie in den 1960er- und 1970er-Jahren. Das meiste funktioniert aber nur auf dem Papier.
Derzeit laufen weltweit dem „World Nuclear Industry Status Report“ zufolge 412 Reaktoren, gebaut werden 57 Anlagen. Der Anteil der Atomenergie am Weltstrommix liegt bei 9,8 Prozent, er sinkt seit Mitte der 90er-Jahre. Dennoch setzen viele Länder, vor allem China, Indien und Frankreich, auf Atomkraft.
Ein Vorteil: Atomenergie stößt kein klimaschädliches CO2 aus. Ein Nachteil: Trotz jahrzehntelanger Erfahrung sind die Kosten für AKW nicht, wie erwartet, gesunken, wie eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt. Erneuerbare Energien sind deutlich billiger. Für die USA hat das Bankhaus Lazard errechnet, dass Windstrom seit 2010, Solarstrom seit 2012 günstiger erzeugt wird als Atomstrom.
Dennoch sollen drei Ideen die Atomkraft voranbringen: Bestehende Technologien sollen weiterentwickelt werden. Viele kleine, standardisierte Kraftwerke die Technik günstiger machen. Und zur Hochzeit der Atomeuphorie in den 60er- und 70er-Jahren entwickelte, aber verworfene Konzepte mit dem Wissen von heute doch nutzbar werden. Alle Ideen haben grundsätzlich Probleme: Sie erfordern sehr viel Geld. Es dauert, bis solche Anlagen betriebsbereit sein können – wenn überhaupt.
So baut der französische Energiekonzern EDF in Flamanville an der normannischen Küste einen neuen Großreaktor mit eher klassischer Technologie. Die Arbeiten begannen 2007, fertig sein sollte die Anlage 2012. Inzwischen wird 2024 angepeilt. Technische Probleme plagen das Projekt. Statt 3,4 Milliarden Euro, wie geplant, kostet der Reaktor wohl 13,2 Milliarden Euro. Eine ähnliche Anlage im finnischen Olkiluoto soll nun nach 18 Jahren Bauzeit mit zahlreichen Pannen ans Netz. Großbritannien lässt mit französischer Technologie und chinesischem Geld in Hinkley Point einen Großreaktor bauen. Auch hier: Die Fertigstellung verzögert sich, die Kosten steigen.
Weil Großprojekte haken, denken viele Forscher und Unternehmer über neue Ansätze nach, sogenannte SMRs (small modular reactors). Die Idee: Statt weniger großer AKW werden viele kleine, standardisierte mit Leistungen um 300 Megawatt gebaut. Dank industrieller Massenfertigung sollen diese Kraftwerke günstiger sein. Vor allem die USA, Russland, China und Kanada treiben solche Projekte voran. Derzeit sind allerdings nur sechs SMRs weltweit in Betrieb. 2020 etwa ging eine schwimmende russische Anlage ans Netz – nach 13 Jahren Bauzeit. Ein Projekt in Argentinien ist seit 1970 in Planung, der Bau ist derzeit gestoppt. Zukunft ungewiss.
„Atomenergie war, ist und bleibt unrentabel und technologisch riskant“, sagt Alexander Wimmers, einer der Autoren der DIW-Studie. „Daran ändern auch angeblich neuartige Reaktorkonzepte nichts, die de facto ihren Ursprung in der Frühzeit der Atomenergie in den 50er- und 60er-Jahren haben.“
Ein weiteres Problem ist: Wohin mit dem Atommüll? Denn auch wenn die drei letzten deutschen AKW am Samstag abgeschaltet werden, strahlt der Müll noch Hunderttausende Jahre. Für diesen Nachlass der Atomwirtschaft wird ein unterirdisches Endlager gesucht, das den gefährlichen Abfall für eine Million Jahre von der Umwelt abschirmen soll. Das ist ein Zeitraum von 30.000 Generationen – so weit kann man eigentlich gar nicht planen.
Auch in Deutschland bleibt bislang im Dunkeln, wo das Endlager gebaut werden soll. Vor ein paar Jahren hat die Standortsuche wieder neu begonnen. Kürzlich teilte die bundeseigene Gesellschaft für Endlagerung (BGE) mit, möglicherweise könne sie erst 2068 einen Ort benennen. Dann mag es 20 Jahre dauern, bis das Lager fertig ist. Wenn noch ein paar Verzögerungen hinzukämen, wäre das Jahr 2100 erreicht, bis die ersten Behälter unter der Erde verschwänden.
Irgendein Ort in Deutschland wird das Endlager bekommen, doch keiner will es haben. Wo auch immer man es baut – Angst, Ärger und Widerstand sind garantiert. Wenn die Entscheidung jemals akzeptiert werden sollte, dann nur, weil die Suche hundertprozentig vertrauenswürdig, nachvollziehbar und demokratisch abgelaufen ist. Das jedoch macht sie sehr langwierig.
Weltweit gibt es bisher kein einziges Endlager, das die strahlenden Überreste von AKW aufnehmen könnte. Aber in einigen Staaten sind die Vorbereitungen fortgeschritten. So baut Finnland seit zwei Jahrzehnten an einem Bergwerk unter der Halbinsel Olkiluoto, 2025 könnte die Einlagerung beginnen. Schweden hat immerhin einen Ort definiert. Die Schweiz schlug die Region Nördlich Lägern unweit der deutschen Grenze als Standort vor, in Frankreich wurde ein Dorf in Lothringen benannt.
Bis zur Endlagerung muss der hochradioaktive Müll in Zwischenlagern untergebracht werden, die beispielsweise neben den Atomkraftwerken stehen. Immerhin: In Deutschland ist für den größten Teil des schwach und mittelstark radioaktiven Mülls, etwa verstrahltes Baumaterial aus den Kraftwerken, die Entsorgungsfrage gelöst. Ungefähr 300.000 Kubikmeter soll das Bergwerk Schacht Konrad bei Salzgitter in Niedersachsen aufnehmen.
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