Abschwung der Atomkraft beschleunigt sich
Weser Kurier, 24. August 2014
Von Reimar Paul
Antwerpen. Die Atomkraft hat international einen schweren Stand. So beschleunigte sich der Abschwung der Kernkraft im vergangenen Jahr weiter: 2013 kamen nur noch 10,8 Prozent des weltweit erzeugten Stroms aus Atomreaktoren, wie aus dem aktuellen World Nuclear Industry Status Report hervorgeht – der Spitzenwert hatte 1996 bei 17,6 Prozent gelegen. Teilweise ist der Rückgang zwar dem insgesamt steigenden Energieverbrauch geschuldet, aber auch in absoluten Zahlen geht die Atomstromproduktion zurück: 2359 Terawattstunden waren es 2013, der Höchstwert von 2660 Terawattstunden stammt aus dem Jahr 2006.
Zu schaffen macht der europäischen Atomwirtschaft zunehmend das hohe Alter der Meiler. In den vergangenen Wochen fielen deshalb gleich fünf britische und drei belgische AKW aus. Fraglich, ob und wann sie noch einmal ans Netz gehen können. Vielen Kraftwerken in Nachbarländern drohen ähnliche Schwierigkeiten.
Nach Angaben des Internationalen Wirtschaftsforums für Regenerative Energien sind in Großbritannien nur Reaktoren betroffen, die in den 1980er-Jahren oder noch früher den Betrieb aufnahmen. Das AKW Wylfa, auf der Insel Anglesey im Norden von Wales gelegen, ging 1971 ans Netz und ist somit das älteste der statistisch noch betriebenen Kernkraftwerke. Es fiel bereits im Januar wegen Wartungsarbeiten aus und musste Anfang Juli wegen eines Dampflecks erneut heruntergefahren werden. Ursprünglich für eine Laufzeit von 25 Jahren ausgelegt, wurde diese trotz Pannen von der britischen Atomaufsichtsbehörde bisher immer wieder verlängert.
Am Standort Heysham in North Lancashire stehen vier AKW-Blöcke, die zwischen 1983 und 1988 ans Netz gingen. Wegen eines Risses an einem Kessel wurde dem Betreiber zufolge Block 1 abgeschaltet und Block 2 als Vorsichtsmaßnahme heruntergefahren. Auch die beiden Blöcke des AKW Hartlepol im County Durham stehen wegen Problemen des baugleichen Kessels bis auf Weiteres nicht zur Verfügung. Die Reparaturen sollen Monate dauern.
Großbritannien hat insgesamt noch 16 AKW in Betrieb. Durch den Ausfall der fünf Reaktoren erreichte die Windstromproduktion einen neuen Höchstwert – die Anlagen erzeugten am 17. August im Mittel fast 6000 Megawatt elektrische Energie.
Belgien musste in der vergangenen Woche Block 4 im AKW Doel bei Antwerpen abschalten. Zuvor waren bereits die Blöcke Doel 3 und Tihange 2 abgeklemmt worden – die beiden Anlagen waren schon 2012 nach der Entdeckung von Haarrissen im Reaktorbehälter außer Betrieb, wurden aber zunächst wieder hochgefahren, weil die belgische Stromversorgung vor dem Kollaps stand. Im Frühjahr kam das vorläufige Aus. Laut Medienberichten können die beiden Atommeiler Doel 3 und Tihange 2 vermutlich nie mehr ans Netz gehen.
Die aktuelle Abschaltung in Doel soll dagegen nach Angaben der Behörden auf Sabotage zurückgehen, ein großer Teil des Schmieröls in einer Hochdruckturbine sei ausgelaufen. Das könne nur manuell geschehen, weshalb nun die Staatsanwaltschaft ermittelt. Insgesamt steht Belgien damit gegenwärtig rund ein Viertel der Stromerzeugung nicht mehr zur Verfügung. Vor allem im kommenden Winter könnte es Engpässe bei der Energieversorgung geben. Nach Medienberichten arbeiten die Behörden bereits an einem Notfallplan und wollen im Ernstfall ländlichen Kommunen zeitweise den Strom abschalten.
Nun könnten die Probleme auf Frankreich und die Schweiz übergreifen. Sollten die in britischen Dampferzeugern festgestellten Kesselrisse auch bei baugleichen französischen AKW gefunden werden, müsste dort eventuell mehr als ein Dutzend Reaktoren vom Netz. Die französische Atomaufsichtsbehörde rät bereits, für Ersatzkapazitäten zu sorgen.