18 May 2016

WDR‑Radio (Germany): “Komplett rausgeworfenes Geld” [Interview Mycle Schneider]

“Komplett rausgeworfenes Geld”

WDR-5, 18. Mai 2016

Audio Interview with Mycle Schneider, 5:50 min

Die EU-Kommission will Investitionen in die Atomenergie verstärken. Und das obwohl diese weltweit an Bedeutung verliert und zunehmend unrenatabel wird, wie Energie-Experte Mycle Schneider auf WDR 5 sagt. Er findet: “Das ist komplett rausgeworfenes Geld.”

In Deutschland soll in sechs Jahren das letzte Atomkraftwerk vom Netz gehen. Im restlichen Europa hingegen wird die Atomkraft vielleicht eine Renaissance erleben. Ein Strategiepapier der EU-Kommission sorgt für Diskussionen. Die Mitgliedsstaaten sollen demnach bei der Erforschung, Entwicklung, Finanzierung und beim Bau neuer innovativer Reaktoren stärker zusammen arbeiten.

Mycle Schneider arbeitet als unabhängiger, internationaler Energie- und Atompolitik-Berater. 1997 hat er den alternativen Nobelpreis bekommen. Außerdem ist er Herausgeber des “Welt-Statusbericht Atomindustrie”.

WDR 5: Ist die EU-Kommission gut beraten, auf innovative Atomreaktoren zu setzen? Mycle Schneider: Wissen Sie, es ist eigentlich eine neue alte Idee. Es ist leider so, dass kleinere Reaktoren – so genannte Small Modular Reactors – bereits seit über 30 Jahren im Gespräch sind. Immer wieder sind Versuche gemacht worden, übrigens auch mit vielen Forschungsmitteln, diese Reaktorlinien zur Reife zu bringen. Es ist keineswegs etwas Neues, und es lässt sich auch nicht absehen, warum das an der Marktsituation der Atomenergie irgendetwas in Europa ändern sollte.

WDR 5: Um diese Investitionen in die Atomenergie zu stärken, sollen ja auch Gelder aus dem Europäischen Fonds für strategische Investments fließen. Ist das also rausgeworfenes Geld?

Schneider: Komplett rausgeworfenes Geld, genauso kann man das ausdrücken. Es gibt einen wunderbaren Ausdruck von dem Chef der Westinghouse, einem der großen Reaktorbauer in der Welt, der gesagt hat: “Mein Problem mit diesen Small Modular Reactors ist nicht die Technologie, es ist, dass es dafür keine Kunden gibt.” Es bringt nichts, wenn Dinge entwickelt werden und viel Geld in Forschung fließt für Anlagen, die keiner bauen will. Das ist einfach das entscheidende Problem: Es gibt heutzutage keine Kunden für derartige Kraftwerke und daher macht es auch keinen Sinn, dort große Summen zu investieren, wenn letzten Endes niemand diese Reaktoren bauen will.

WDR 5: Warum will niemand diese Reaktoren bauen, woran liegt das?

Schneider: Es ist so, dass die Vorlaufzeiten für Technologie unheimlich lang sind. Das ist bei der Atomkraft noch stärker als bei anderen Technologien. Das heißt, diese Reaktoren könnten vor 2030 gar nicht gebaut werden.

WDR 5: Sie geben jährlich den Welt-Statusbericht der Atomindustrie heraus. Welche Rolle spielt Atomkraft weltweit überhaupt noch?

Schneider: Eine schrumpfende Rolle. Im Moment steht der Anteil der Atomkraft in der kommerziellen Stromerzeugung bei etwas über zehn Prozent in der Welt. Wenn man das allerdings auf die Endenergie herunterrechnet, also auf den Anteil der Atomkraft an der letztendlich verfügbaren Energie für den Verbraucher, dann sind das vielleicht um die zwei Prozent. Und wie gesagt: Die Tendenz ist seit etwa 20 Jahren abnehmend.

WDR 5: Weil es sich auch einfach nicht mehr rechnet. In erster Linie eine ökonomische Frage oder auch eine politische?

Schneider: Verschiedene Kriterien spielen eine Rolle. Neu ist, dass auch die Atomkraftwerke, die heute in Betrieb sind, sich nicht mehr rechnen. Die Betriebskosten sind so in die Höhe gegangen, unter anderem auch aufgrund des fortgeschrittenen Alters. Das Durchschnittsalter liegt weltweit bei um die 30 Jahre. Denken Sie an ein Auto, das 30 Jahre alt ist, wie teuer das wäre, das heute auf der Straße fahren zu lassen. Das ist neu, dass auch heute existierende Atomkraftwerke keine Goldesel mehr sind, sondern dass es so teuer wird, dass sie mit den Großhandelspreisen nicht mehr standhalten können.

WDR 5: Trotzdem aber wird die Kernenergie immer wieder in die Diskussion gebracht, auch auf der EU-Ebene. Im letzten Jahr ging es darum, dass wir eigentlich Kernenergie brauchen, um die Energieabhängigkeit vom Ausland und auch den CO2-Ausstoß in der EU zu senken. Das wird immer als Argument für die Kernkraft in den Ring geworfen. Macht das Sinn?

Schneider: Nein, es macht eigentlich keinen Sinn mehr. Die Fragestellung ist ja folgende: Wenn ich einen Euro in den Klimaschutz investiere, dann muss ich das in eine Option investieren, die möglichst viel CO2-Ausstoß vermeidet – und zwar möglichst schnell. Das Problem heute ist, wenn man einen Euro ausgibt, gibt es ganz viele andere Möglichkeiten. Das fängt bei der Energie-Effizienz an, wie ich sehr viel schneller und sehr viel günstiger CO2-Emissionen vermeiden kann. Insofern wird die Atomkraft heute aus dem Markt herausgedrängt. Die erneuerbaren Energien, Wind und Solar, sind so in den Kosten gesenkt worden, dass sie schon in kommerziellen Märkten wie in den USA, im Nahen Osten oder selbst in Südamerika zu Preisen gehandelt werden, die nicht mal existierende Atomkraftwerke leisten können.

Das Interview führte Judith Schulte-Loh im Morgenecho vom 18.05.2016.

Für eine bessere Rezeption weicht die schriftliche Fassung des Interviews an einigen Stellen vom gesendeten Interview ab und kann teilweise gekürzt sein. Die intendierte Ausrichtung der Fragen und Antworten bleibt dabei unberührt.

Stand: 18.05.2016, 09:51

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