11 March 2017

Tagesschau (Germany): Wie hat Fukushima die Welt verändert?

Sechs Jahre nach GAU

Wie hat Fukushima die Welt verändert?

Tagesschau, Stand: 11.03.2017 01:42 Uhr

Von Jürgen Döschner, WDR

Die jüngsten Hiobsbotschaften kamen ausgerechnet aus den drei führenden Atomkraft-Nationen: Frankreich, Japan und den USA. Der Aktienkurs des französischen AKW-Betreibers EDF brach nach einer Kapitalerhöhung ein; die Atomsparte des japanischen Technologiekonzerns Toshiba meldete mehr als fünf Milliarden Euro Verlust - Ursachen waren Verzögerungen und Kostenüberschreitungen beim Bau von zwei Atomkraftwerken in den USA.

“Ein weiterer Sargnagel”

“Das ist ein weiterer Sargnagel”, sagte der US-Analyst Kit Konolige im Börsensender Bloomberg. “Schon wegen der niedrigen Gaspreise waren neue Atomkraftwerke nicht wettbewerbsfähig. Und das erinnert noch einmal an die jahrzehntelange Geschichte, in der Kostenüberschreitungen regelrechte Killer für die Aktionäre waren. Neue AKW wird es daher so bald in den USA nicht geben.”

Nach dem ökologisch begründeten Atomausstieg nun der ökonomisch motivierte Atomabstieg. In den letzten zehn Jahren fielen die Aktien der französischen Atom-Flaggschiffe AREVA und EDF um jeweils mehr als 90 Prozent, Toshiba büßte über 60 Prozent ein, die deutschen Energieriesen RWE und E.ON rund 80 Prozent.

Wenige AKW-Neubauten

Man kann wirklich sagen, dass es sich hier um eine existenzielle Krise handelt“, sagt Mycle Schneider, Herausgeber des”World Nuclear Industrie Status Report“.”Weil es nicht nur eine Frage von leichtem Absinken an der Börse ist, sondern es sich ja hier wirklich um einen Einbruch handelt, der ans Existenzielle geht."

Die Börsenkurse sind dabei nur einer von vielen Indikatoren für den weltweiten Niedergang der Atomkraft. Der Anteil des Stroms aus Atomkraftwerken nimmt seit Jahren stetig ab. Und auch die Zahl der neu in Bau gegangenen AKW-Projekte ist eingebrochen, sagt Mycle Schneider. Global gesehen wurden 2016 die Bauarbeiten für nur drei neue Atomkraftwerke begonnen, davon zwei in China und der dritte in Pakistan - von chinesischen Firmen gebaut.

Fukushima als Beschleuniger

Fukushima war allerdings nicht Auslöser, sondern lediglich Beschleuniger einer längst vorhandenen, tiefer sitzenden Krise, meint Schneider. Atomstrom sei nie wirklich wettbewerbsfähig gewesen, sondern war immer abhängig von staatlichen Zuschüssen. Zusätzliche teure Sicherheitsanforderungen und vor allem immer günstiger werdender Ökostrom hätten nach Fukushima die latente Schwindsucht der Atomkraft verschärft. “Wir haben jetzt gerade die Information erhalten, dass inzwischen in sechzig Ländern weltweit Solarenergie die billigste Stromquelle auf dem Markt ist! Und das ist natürlich eine Konkurrenz, die für die Atomkraft tödlich ist.”

Die Atomindustrie selbst sieht das naturgemäß anders. Ein Interview wollte das Deutsche Atomforum zwar nicht geben. Aber der Lobbyverband der deutschen Atomindustrie verweist an anderer Stelle zum Beispiel gerne auf den geringen CO2-Ausstoß von Atomkraftwerken. Die weltweite Klimaschutzpolitik werde für eine Renaissance der Kernenergie sorgen.

Lange Planungszyklen

Aus Sicht von Atomexperte Schneider eine Illusion - nicht nur wegen der hohen Kosten, sondern auch wegen des Zeitfaktors. Er nennt als Beispiel das geplante britische Atomkraftwerk Hinkley Point: “Den ersten Hinweis auf dieses Projekt im englischen Parlament gab es bereits 2003. Wenn dieser Reaktor in der Tat 2026/2027 in Betrieb gehen soll, dann wäre die Vorlaufzeit 23-24 Jahre. Neue Reaktortechnologien würden noch mehr Zeit bedürfen. Insofern ist es auszuschließen, dass Atomkraft in der Klimadebatte eine entscheidende Rolle spielen wird.”

Statt mit der Klimakatastrophe dürfte die Atombranche in den kommenden Jahrzehnten ohnehin mehr mit Folgen der eigenen Katastrophen zu tun haben. In Fukushima werden die Aufräumarbeiten mindestens bis Ende des Jahrhunderts dauern und noch einige Hundert Milliarden Euro verschlingen.

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Deutschlandfunk (Germany), "Atomkraft in der existenziellen Krise", 11 March 2017