von Steffen Schmidt • am 28. März 2024
Beim UNKlimagipfel in Dubai sahen etliche Länder Atomkraft als Baustein des Klimaschutzes, Frankreich und Großbritannien kündigen Neubauten an. Doch die Zahl der AKW schrumpft seit Jahren – außer in China.
Bei der Weltklimakonferenz Ende 2023 in Dubai hatten rund 20 Staaten angekündigt, für den klimaneutralen Umbau ihrer Energieversorgung die Nutzung der Atomkraft ausbauen zu wollen. Frankreich, das größte europäische AKW-Betreiberland, erwägt, 14 neue Atomkraftwerke zu bauen. Die aktuelle Entwicklung allerdings geht in den meisten Staaten der Erde in die entgegengesetzte Richtung, wie der unlängst veröffentlichte »World Nuclear Industry Status Report« unabhängiger Forscher aus vier Kontinenten zeigt. Lag der weltweite Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung 1996 immerhin bei 17,6 Prozent, waren es 2022 nur noch 9,2 Prozent. Der Anteil von Wind- und Solarstrom lag 2022 bei 11,7 Prozent.
Der Hauptautor des Reports, der Pariser Energieexperte Mycle Schneider, rechnet zudem bei einem Pressegespräch in Berlin vor, dass für den in Dubai versprochenen Ausbau der Kernenergie auf die dreifache Kapazität von heute weltweit jährlich zehn neue AKW ans Netz gehen müssten. Denn im gleichen Zeitraum kämen voraussichtlich 270 Reaktorblöcke an das Ende ihrer geplanten Laufzeit. Derzeit gingen pro Jahr aber maximal fünf AKW neu in Betrieb. Hinzu komme, dass von den sechs Unternehmen weltweit, die über Erfahrung beim AKW-Bau verfügen, nur die russische Rosatom und zwei chinesische Unternehmen in den letzten Jahren noch mehrere AKW gebaut haben.
Frankreichs Kapazitäten sind derzeit bereits durch den bereits über 16 Jahre laufenden Bau des dritten Blocks des Kernkraftwerks Flamanville und umfangreiche Sanierungen von korrodierten Rohren in älteren Kraftwerken stark beansprucht. Im Jahr 2022 war der Rückgang der Atomstromproduktion in Frankreiuch deshalb außerplanmäßig größer als der planmäßige Rückgang in Deutschland infolge der Abschaltung der letzten AKW in Deutschland.
Dabei sind es weniger politische Maßnahmen, wie der deutsche Atomausstieg, die das Wachstum der Kernenergie bremsen, sondern ganz profane ökonomische Gründe, wie Koautor Doug Koplow vom Thinktank »Earth Track« in Cambridge (USA) feststellt. Wegen der astronomischen Kosten und der langen Bauzeiten war es in den letzten Jahren anscheinend für viele Investoren lukrativer, ihr Geld in große Batteriespeicher statt in AKW zu stecken. So sei 2022 die Kapazität von Batteriespeichern im Stromnetz bereits größer gewesen als die von AKW. Weltweit wurde laut dem Report 2022 das 14-Fache dessen, was in neue AKW floss, in erneuerbare Quellen (ohne Wasserkraft) investiert.
Der Report zeigt, dass das in China ähnlich ist. Dort wurden zwar in den letzten Jahren die meisten neuen Atomkraftwerke gebaut, doch 2022 überholte bei der Stromerzeugung die Photovoltaik bereits die AKW.
Alexander James Wimmer von der TU Berlin verwies noch auf einen neben Kraftwerksbau und Atommüllentsorgung meist unterschätzten Kostenfaktor der Kenenergie: den Rückbau nach dem Ende des Betriebs. Anfang 2024 sind 213 Reaktoren weltweit offiziell abgeschaltet – zurückgebaut sind aber nur 22 Reaktoren in Deutschland, Japan und den USA. Anhand von Beispielen aus Deutschland, Italien und Litauen ergeben sich für den Rückbau Kosten von 5 bis 12 US-Dollar pro während der Laufzeit erzeugte Megawattstunde. Der vermeintlich billige Atomstrom kann laut den Ergebnissen des Reports bei Betrachtung aller Kosten bis zu viermal so teuer sein wie Strom, der mittels Offshore-Windkraftanlagen erzeugt wird.