Normalerweise steht «made in Japan» für Qualität. Diese Woche wurde das Label für den AKW-Unfall in Fukushima verwendet, der gemäss dem Untersuchungsbericht auf menschliches Versagen zurückzuführen ist und nicht auf das Erdbeben oder auf den Tsunami, wie angenommen worden war. Die Auswirkungen des Unfalls sind weitreichend. «Er beschleunigt den Abstieg der AKW-Industrie erheblich», sagt Mycle Schneider, unabhängiger Berater und Co-Autor des Berichts «World Nuclear Industry Status Report 2012», der jährlich erscheint und von der Schweizerischen Energiestiftung (SES) unterstützt wird.
Schneider tritt im 100-seitigen Dokument Stimmen entgegen, die auch nach Fukushima eine Zukunft für die AKW-Industrie sehen. «Es wird immer offensichtlicher, dass Nuklearenergie in dieser Welt nicht wettbewerbsfähig ist, weder vom technischen, ökonomischen, umweltpolitischen noch vom sozialen Standpunkt aus gesehen», schreibt Schneider im Fazit.
Der Report benennt zwei Trends: Einerseits leiden Unternehmen in der AKW-Industrie massiv. Aus drei Gründen: Erstens steigen die Baukosten. Bei zahlreichen Kernkraftwerks-Projekten verzögert sich der Bau, und die Kosten übersteigen das Budget bei weitem, so zum Beispiel bei den Projekten in Flamanville, Frankreich, oder Olkiluoto in Finnland. Zweitens stufte die RatingAgentur Standard & Poor’s in den vergangenen fünf Jahren sieben von elf untersuchten Firmen der AKW-Industrie zurück, während die restlichen vier ihr Rating halten konnten. Dagegen begrüsste die Rating-Agentur Moody’s den Entscheid der beiden deutschen Energiekonzerne E.On und RWE, sich aus ihren Engagements in Nuklearenergie zurückzuziehen.
Drittens sinkt der Kurs der Unternehmen in der AKW-Industrie seit Jahren. Die Titel des französischen AKWBauers Areva verloren seit dem Höchststand 2007 88% an Wert, jene der Kernkraft-Betreiberin EDF büssten seit ihrem Höchst 83% ein. Der Unfall in Fukushima liess die Kurse steiler absacken. Auch die beiden Schweizer Energiekonzerne BKW und Alpiq spüren den Gegenwind am Aktienmarkt überdurchschnittlich: Sie verloren 78% beziehungsweise 58% an Wert, der Vergleichsindex SPI sank um 18%.
Der zweite grosse Trend aus dem Bericht ist folgender: In Ländern, die in den letzten Monaten angekündigt haben, in die Kernkraft einzusteigen, liegt nirgends ein Finanzierungsplan auf dem Tisch. «Das war für mich eine Überraschung», sagt Schneider. «Wenn Banken keine Kredite für AKW-Projekte sprechen wollen, woher soll das Geld kommen?» Offenbar ist nicht einmal in den reichen Vereinigten Arabischen Emiraten die Finanzierung gesichert. Zu den potenziellen Neulingen gehören zudem Bangladesh, Indonesien, Jordanien, Polen, Thailand, die Türkei oder Vietnam. Auch im kernkraftfreundlichen Grossbritannien sind Investoren wie E.On und RWE von einem AKW-Projekt abgesprungen.
Bereits im April 2011, wenige Wochen nach dem AKW-Unfall in Fukushima also, schrieben Analysten der UBS in einer Studie: «Wir schätzen, dass die Betriebskosten für neue Kernkraftwerke höher sein werden als deren Alternativen.» Dazu zählt neben erneuerbaren Energien vor allem auch Gas. Deshalb würden jene Länder auf Nuklearenergie setzen, die den CO2Ausstoss senken und den Energiemix diversifizieren wollten. Drei Viertel der AKW, die im Bau sind, entfallen auf China, Indien und Russland.
Wo Kernkraftwerke derart in Verruf geraten sind, dass keine neuen gebaut werden, erkennt Schneider neue Risiken. Er stellt mit Unbehagen fest, dass ein Drittel der Länder mit Atomstromproduktion das historische Produktionsmaximum 2011 erreicht haben. Die Schweiz lag 2011 mit 25,69 TWh nur leicht unter dem Maximum von 26,49 TWh im Jahr 2007.
Angesichts der hohen Produktion fragt sich Schneider: «Wie tiefgreifend waren Inspektionen und Stresstests der AKW wirklich?» Um eine Anlage umfassend zu überprüfen, müsse ein Kernkraftwerk über mehrere Wochen abgeschaltet werden. Er schiebt eine weitere Frage nach: «Inwiefern steigt der Druck auf die Aufsichtsbehörde, verlängerte Laufzeiten zu genehmigen, angesichts der Tatsache, dass neue AKW-Projekte in den meisten Ländern vom Tisch sind?» Denn klar ist: Ob und wie der Atomstrom dereinst ersetzt werden kann, ist nicht nur in der Schweiz Gegenstand hitziger Debatten.
In Japan, wo im Sommer die Klimaanlagen auf Hochtouren laufen, fehlt er bereits. Deshalb möchte Regierungschef Noda nach dem ersten Reaktor möglichst viele der 50 funktionsfähigen Meiler wieder in Betrieb nehmen.