26 September 2024

Salzburger Nachrichten (Austria)

Für Atomstrom fließt Geld zu Putin

Die EU importiert mehr Uran aus Russland als vor Beginn des Ukraine-Kriegs.
Source : Salzburger Nachrichten: Für Atomstrom fließt Geld zu Putin https://www.sn.at/politik/weltpolitik/fuer-atomstrom-geld-putin-165338827

Stephanie Pack-Homolka • 19. September 2024

Der Luftraum über der EU war im Frühling 2022 schon für russische Flugzeuge gesperrt. Trotzdem landete auf dem ungarischen Flughafen Pápa eine Frachtmaschine aus Russland, unter enormen Sicherheitsvorkehrungen. Für den Flug gab es eine Sondergenehmigung. An Bord war Kernbrennstoff aus russischer Produktion. Das Kernkraftwerk Paks müsse eine gesicherte Energieversorgung bieten, sagte damals der ungarische Außenminister Péter Szijjártó. Denn es liefere knapp 50 Prozent des Stroms im Land.

Ungarn war damals nicht das einzige EU-Land in dieser Lage. Auch die Slowakei und Tschechien brauchten für ihre Atomkraftwerke Material und Brennstoffe aus Russland. In Bratislava und Brünn landeten im Frühling 2022 ebenfalls die russischen Frachtmaschinen mit Kernbrennstoffen.

19 Reaktoren nach russischem oder besser gesagt: nach sowjetischem Design gebe es momentan in der EU, berichtete am Donnerstag Mycle Schneider. Der Energie- und Atomkraftexperte stellte in Wien den aktuellen World Nuclear Industry Status Report vor. Der jährlich erscheinende Bericht gibt einen Überblick darüber, wo neue Atomreaktoren gebaut werden, wie angestoßene Projekte vorankommen, wo die Energiewirtschaft investiert und ob neue Technologien am Horizont auftauchen, die wirtschaftlich sind. In einzelne Länder zoomen die Autorinnen und Autoren tiefer hinein.

Eine solche Lupe legt der diesjährige Bericht auf Russland. Nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine verhängte die EU eine Reihe von Strafmaßnahmen. Mittlerweile gibt es 14 Sanktionspakete. Anders als die russischen Lieferungen von Öl, Erdgas und Kohle habe der nukleare Sektor dabei aber wenig Aufmerksamkeit bekommen, schreiben die Autorinnen und Autoren des Statusberichts. Während die USA nach langen Debatten im Mai 2024 den Import von Uranprodukten aus Russland verboten haben, gibt es in der EU noch immer keine Sanktionen in diesem Bereich. „Ein starker Indikator für die Abhängigkeit von Russland“, heißt es in dem Bericht.

Diese Abhängigkeit zeige sich in zwei verschiedenen Bereichen, erklärte Schneider: ökonomisch und technisch. Auf ökonomischer Seite geht es vor allem um den Import von russischem Uran. Natürliches Uran könne zwar aus vielen Ländern der Welt bezogen werden, aber viel teurer als aus Russland, sagte der Experte. Was in der EU zudem momentan fehlt, sind die Anreicherungskapazitäten. Laut der Euratom-Versorgungsagentur (ESA) würde es mehrere Jahre dauern, diese aufzubauen.

Indes wächst die Abhängigkeit von Russland weiter, auch nach dem Beginn der Invasion in der Ukraine: Sowohl beim Import von natürlichem Uran als auch bei Anreicherungsdienstleistungen stieg der Anteil aus Russland beziehungsweise vom russischen Anbieter Rosatom zwischen 2021 und 2023. Frankreich importierte angereichertes Uran im Jahr 2022 beispielsweise zu 67 Prozent aus Russland. Das französische Unternehmen Framatome arbeitet mit dem russischen Rosatom zusammen.

Technisch schwierig ist es für die Länder, die einen der 19 russischen Reaktoren in der EU betreiben, aus ihrer Abhängigkeit zu kommen. Die Reaktoren vom Typ VVER stehen in Bulgarien, Tschechien, Finnland, Ungarn und der Slowakei und sind dort für 40 bis 61 Prozent des Strommixes verantwortlich.

Während in einigen dieser Länder auf absehbare Sicht noch die Transportmaschinen mit russischen Brennelementen landen werden, stellen andere um: Die US-Firma Westinghouse produzierte heuer Brennelemente für russische Reaktoren in Bulgarien. „Nicht ohne technische Schwierigkeiten“, wie Schneider berichtete. Man könne eben nicht mit einem Fingerschnippen wechseln. „Das wird dauern.“

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