21 July 2015

Frankfurter Rundschau (Germany): Atomkraft auf absteigendem Ast

Atomkraft auf absteigendem Ast; Anteil am Strommix sinkt deutlich / Zahl der Meiler rückläufig

Frankfurter Rundschau, 17. Juli 2015

Von Joachim Wille

Die vielbeschworene Renaissance der Atomkraft fällt bis auf weiteres aus. Der Anteil der AKW am weltweiten Strommix ist vom Höchststand von 17,6 Prozent im Jahr 1996 auf nur noch 10,8 Prozent anno 2014 gesunken. Gleichzeitig sind die Investitionen in erneuerbare Energien wie Windkraft, Photovoltaik und Biomasse-Verstromung in den vergangenen zwei Jahrzehnten so stark gewachsen, dass ihr Zuwachs bei der Stromproduktion inzwischen sechsmal höher ist als der der Kernkraft. Das zeigt ein neuer Report zur Situation der Atombranche, der jetzt in London vorgestellt wurde.

Die Zahl der weltweit betriebenen Atommeiler ist rückläufig. Laut dem “World Nuclear Industry Status Report 2015” war das Maximum 2002 mit 438 Reaktoren erreicht. Derzeit sind noch 391 am Netz. Den größten Einschnitt brachte der Super-Gau von Fukushima 2011, in dessen Folge Japan sämtliche AKW stillgelegt hat. Unklar ist allerdings, wie viele der rund 50 noch intakten Reaktoren in dem Land wieder anlaufen werden. Die Regierung in Tokio hat den Wiedereinstieg beschlossen, allerdings gibt es starke Widerstände bei den lokalen Behörden, die einem Neustart von Reaktoren zustimmen müssen.

Die Internationale Atombehörde (IAEA) führt die japanischen Anlagen weiter als “in Betrieb” und kommt so aktuell auf weltweit 437 Reaktoren. Tatsächlich wird damit gerechnet, dass mindestens ein Drittel der japanischen AKW den Betrieb wieder aufnehmen könnte. Der globale Höchststand von 2002 würde dadurch aber nicht wieder erreicht.

Das Durchschnittsalter der Reaktoren weltweit steigt derweil - und damit die Störfallanfälligkeit. Es liegt laut dem Report inzwischen bei knapp 29 Jahren. Mehr als die Hälfte der AKW laufen länger als 30 Jahre, 54 sind sogar älter als 40 Jahre. Der Grund für die Alterung: Die Neubautätigkeit ist stark gesunken.

In den 1980er Jahren, der Hochzeit der Atomkraft, gingen pro Jahr teils über 30 Reaktoren neu in Betrieb, inzwischen sind die Zugänge nur noch einstellig. Weltweit werden laut der offiziellen Statistik derzeit 62 Reaktoren neu gebaut, vor allem in China, Russland, Indien und Südkorea. Drei Viertel davon verzeichnen allerdings zum Teil gravierende Bauzeit-Überschreitungen, darunter auch die beiden europäischen Neubau-AKW in Finnland und Frankreich, deren Baukosten zudem von geplanten drei auf rund acht Milliarden Euro anwuchsen. Fünf der als “im Bau” eingestuften Projekte stehen laut dem Report allerdings bereits seit über 30 Jahren in dieser Rubrik.

Subventionen kürzen

Die Autoren des Reports rechnen damit, dass die Öko-Energien die Atomkraft als “CO2-freie” Technologie ablösen werden - aus Kostengründen. Diese Tendenz zeichnet sich bereits ab: Seit 1997, als das Kyoto-Protokoll beschlossen wurde, stieg die jährliche Stromerzeugung aus AKW laut dem Bericht um 147 Terawattstunden (TwH), die aus Windkraft und Solarenergie aber fast sechsmal so stark, um rund 880. Während die Baukosten neuer AKW explodierten, werde der Ökostrom immer billiger.

Der renommierte Nuklearexperte und Hauptautor des Reports, Mycle Schneider, forderte angesichts dieser Entwicklungen einen “Realitäts-Check” der Politik, besonders in Ländern wie Großbritannien, die dennoch eine nukleare Renaissance propagierten. Er warnte davor, AKW-Neubauten - wie beim britischen Projekt Hinkley Point C - mit hohen öffentlichen Subventionen durchzudrücken.

Die von der Londoner Regierung geplante Förderung des Projekts wird über die 35 Jahre Laufzeit auf bis zu 108 Milliarden Euro geschätzt. Um das Weltklima zu schützen, seien die Investitionen in die Atomkraft nicht effektiv angelegt. Der Bau der AKW dauere zu lang und sei viel zu teuer.

See also:

Klimaretter (Germany): "Atomkraft strahlt nicht mehr", 18. Juli 2015