von Stefan Häne • 19. Juli 2024
Koreanische Kernkraftwerke sollen zum «Exportschlager» werden: Mit diesem Versprechen trat Yoon Suk-yeol vor zwei Jahren sein Amt an. Nun darf Südkoreas Präsident einen Erfolg notieren: In Tschechien ist diese Woche ein Milliardenauftrag für den Bau neuer Kernkraftwerke nach Südkorea gegangen.
Gewonnen hat die Ausschreibung der Konzern Korea Hydro & Nuclear Power (KHNP), eine Tochtergesellschaft der Korea Electric Power, des staatlichen Energieversorgungsunternehmens Südkoreas. Gestochen hat die preisgünstige Offerte. Aber nicht nur. Das Angebot sei nach praktisch allen bewerteten Kriterien das Bessere gewesen, sagte der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala in Prag. Leer ging dagegen der französische Atomriese EDF aus.
Die heimische Industrie soll in Form von Aufträgen am Projekt zu mehr als der Hälfte beteiligt werden. Die Regierung erhofft sich dadurch Impulse für die Wirtschaft. Die Wirtschaftlichkeit des Projekts will sie mit mehreren Massnahmen sicherstellen, dazu gehört ein Staatsdarlehen in Form einer rückzahlbaren Finanzhilfe mit einer Laufzeit von 30 Jahren.
Interessant ist Südkoreas Offensive nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer möglichen Atomrenaissance in der Schweiz: Die Volksinitiative «Blackout stoppen» will den 2017 beschlossenen Atomausstieg rückgängig machen; erwartet wird, dass Energieminister Albert Rösti nach den Sommerferien einen Gegenvorschlag präsentieren wird. Atomkraftgegner sprechen von einer «Scheindebatte», denn kein Schweizer Energieversorger würde das finanzielle Risiko eines solchen Projekts auf sich nehmen.
Mit einem internationalen Bieterverfahren wie in Tschechien würde sich der Kreis potenzieller Investoren allerdings erweitern. Südkoreanische Atommeiler in der Schweiz? «Vorausgesetzt, das Neubauverbot würde aufgehoben, wäre das grundsätzlich denkbar», sagt Stefan Diepenbrock, Sprecher des Nuklearforums Schweiz.
In der Schweiz könnte der Prozess laut Diepenbrock dann in etwa so laufen: Zuerst würde die Stromwirtschaft einen Kraftwerkstyp mit dem entsprechenden Anbieter auswählen. Das Kraftwerksprojekt hätte im Anschluss ein strenges Bewilligungsverfahren zu durchlaufen – samt absehbarer Volksabstimmung. Allfällige Finanzhilfen des Bundes würden separat geregelt und gesprochen.
Tschechien jedenfalls ist fest entschlossen, den Anteil der Atomkraft am Strommix bis 2040 von derzeit etwa einem Drittel auf mehr als die Hälfte zu steigern. Am Standort Dukovany, wo heute vier Altmeiler der sowjetischen Bauart WWER-440/213 stehen, sollen zwei neue Reaktorblöcke gebaut werden – für umgerechnet je rund 7,6 Milliarden Franken.
Die liberalkonservative Regierung beschloss diese Woche zudem, mit dem Konzern KHNP über den Bau von zwei weiteren Blöcken in Temelin zu verhandeln. Beide Vorhaben werden von Atomkraftgegnern scharf kritisiert.
Tschechien und Südkorea eint nicht nur der neue Auftrag. Sie gehören zu jenen 22 Staaten, die sich auf der Weltklimakonferenz in Dubai zu einer neuen Atomallianz formiert haben. Erklärtes Ziel: Die Energieerzeugung aus Atomkraft bis 2050 massiv ausbauen; bis 2050 sollen die Kapazitäten verdreifacht werden.
Zur Allianz zählen fast alle grossen westlichen Industriestaaten, darunter die USA, Kanada, Grossbritannien und Frankreich. Aber auch Schweden, Finnland, die Niederlande sowie Polen sind dabei. Und selbst Japan, trotz des Atomunfalls in Fukushima 2011. (Lesen Sie hier, wie Japan das radioaktiv belastete Kühlwasser im Meer entsorgt)
Die Allianz sieht Atomenergie als CO2-arme Alternative zu fossilen Energieträgern in einer «Schlüsselrolle», wenn es darum geht, die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2050 auf null zu senken. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sieht in der Atomkraft gar eine «unverzichtbare Lösung» im Kampf gegen die Erderwärmung.
In der EU hat sich in den letzten Jahren die Sicht auf die Atomkraft gewandelt. Im Rahmen des Net Zero Industry Act haben die EU-Staaten die Atomkraft neben den erneuerbaren Energien mittlerweile in die Liste der geförderten Netto-null-Technologien aufgenommen; der Entscheid war allerdings umstritten. Insgesamt 12 der 27 EU-Mitgliedsstaaten betreiben Kernkraftwerke.
Tatsache ist aber auch: Die Kernenergie verliert an Bedeutung, global gesehen fliessen Investitionen vermehrt in andere Energiequellen. 2022 sank ihr Anteil an der weltweiten Stromerzeugung auf 9,2 Prozent, wie der World Nuclear Industry Status Report 2023 festhält. Auf dem Höchststand 1996 waren es 17,5 Prozent.
Atomgegner sagen, der medial oft vermittelte Eindruck einer boomenden Atomindustrie täusche. Zwischen 2003 und 2022 wurden gemäss dem Report 105 Anlagen abgestellt, 99 gingen neu ans Netz, 49 davon in China. Ohne China, das mit grosser Staatshilfe die Kernkraft in den letzten 20 Jahren als einziges Land massiv ausgebaut hat, wäre das Minus also markant grösser.
Anderswo kämpfen Neubauprojekte mit den bekannten Problemen: Kostenüberschreitungen, Terminverzögerungen, Widerstand aus der Bevölkerung. «Es gibt in Europa lediglich einen Trend zu Absichtserklärungen», sagt Stephanie Eger, Leiterin Fachbereich Atomenergie bei der atomkritischen Schweizerischen Energie-Stiftung. Ob, wann und wie viele neue AKW tatsächlich gebaut würden und zu welchem Preis, sei Spekulation. «Offenbar versucht Korea aber jetzt, den europäischen Markt zu erschliessen.»
Grundsätzlich haben laut Eger in den letzten Jahrzehnten nur französische Energieunternehmen in Westeuropa gebaut, in Osteuropa seien es russische gewesen. Ein koreanisches Kernkraftwerk in Europa – das wäre laut Eger eine Premiere.
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