31 July 2025

Die Presse (Austria)

Die EU riskiert eine teure Energieabhängigkeit von den USA

Von der Leyen verpflichtete sich, innerhalb von drei Jahren Energieprodukte im Wert von 750 Milliarden Dollar aus den USA zu kaufen. Eine folgenschwere Entscheidung.
Source : Die Presse: Die EU riskiert eine teure Energieabhängigkeit von den USA https://www.diepresse.com/19942131/die-eu-riskiert-eine-teure-energieabhaengigkeit-von-den-usa

28. Juli 2025 • von Wolfgang Böhm

Noch konzentrieren sich die Reaktionen auf den erzielten USA/EU-Handelsdeal auf die Höhe der Zölle. Doch wesentlich sind auch weitere Teile der Vereinbarung. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich nämlich verpflichtet, über einen Zeitraum von drei Jahren Energieprodukte – unter anderem LNG und Kernbrennstoffe – im Wert von 750 Milliarden Dollar in den USA zu kaufen. Darüber hinaus sollen militärische Güter verstärkt von US-Produzenten importiert werden. Außerdem versprach sie 600 Milliarden Dollar zusätzlich an EU-Investitionen in den USA.

Diese drei Versprechen haben eine sehr unterschiedliche Qualität. Zur größten politischen und wirtschaftlichen Herausforderung dürften die versprochenen Energieimporte werden. Ein Grund ist, dass die EU bereits aktuell 16,5 Prozent ihres Bedarfs an Flüssiggas (LNG) aus den USA deckt. „Eine Erhöhung der LNG-Importe aus den USA würde bedeuten, dass die EU stärker von einer Quelle abhängig sein wird“, warnte Ana Maria Jaller-Makarewicz vom Institute for Energy Economics and Financial Analysis bereits vor Abschluss des Deals.

Die EU-Kommission geht davon aus, dass zusätzliche US-Importe durch das sukzessive Wegfallen von Einfuhren aus Russland sowieso notwendig werden könnten. Bis Ende 2027 will sie schrittweise aus russischem Öl und Gas aussteigen, obwohl noch nicht alle Mitgliedstaaten davon überzeugt sind. 2024 überwiesen die EU-Staaten jährlich noch 23 Milliarden Euro an russische Energielieferanten – das war mehr, als die Mitgliedstaaten gemeinsam an Militärhilfe für die Ukraine leisteten. Sie importierten noch 19 Prozent ihres Gasbedarfs über Pipelines und LNG-Lieferungen aus Russland. Würden die USA diese Mengen zusätzlich übernehmen, hätten sie im LNG-Bereich den größten Marktanteil von über einem Drittel.

Da die versprochene jährliche Einkaufsumme von 250 Milliarden Dollar (214 Mrd. €) allein mit Gas bei Weitem nicht zu bewerkstelligen ist, müssen weitere Energieprodukte einbezogen werden. Eines davon sind Kernbrennstoffe. Auch hierbei geht die EU-Kommission in erster Linie von einem Ersatz der bisherigen russischen Importe durch US-Lieferungen aus. Laut dem World Nuclear Industry Status Report, der von einer Gruppe an Experten regelmäßig verfasst wird, hat die EU im Jahr 2023 noch 23 Prozent ihrer Uranprodukte aus Russland importiert. Größte Abnehmer waren die Slowakei, Ungarn und Frankreich. Ein gänzlicher Umstieg wird schwierig, da 19 AKW in der EU eine russische Bauart aufweisen und großteils noch an langfristige Lieferverträge mit russischen Brennstäben gebunden sind. Ungarn baut mithilfe des russischen Atomkonzerns Rosatom zudem sein Kernkraftwerk in Paks gerade aus.

Apropos Neubau von AKW: Dieser Sektor könnte helfen, die versprochene hohe Einkaufsumme in den USA tatsächlich zu erreichen. Wie ein Vertreter der EU-Kommission am Montag bestätigt hat, geht es um einen „allumfassenden Betrag“. In diesen kann in den kommenden drei Jahren neben Öleinkäufen auf dem Spotmarkt beispielsweise auch die Errichtung neuer Atomkraftwerke einbezogen werden. Relevant wäre etwa der Neubau des AKWs im polnischen Słajszewo nordwestlich von Danzig. Für die Anlage hat der US-Anbieter Westinghouse den Zuschlag erhalten. Die Gesamtkosten werden auf 50 Milliarden Euro geschätzt. Die polnische Regierung will noch ein weiteres Kernkraftwerk errichten, über dessen Standort 2026 entschieden wird. Auch Finnland, Bulgarien, Rumänien und Schweden planen Neubauten.

Wie auch immer eine jährliche Summe von 214 Milliarden Euro im Energiebereich zustande kommen wird – sie wird die Abhängigkeit von den USA im gesamten Sektor erhöhen. Damit entsteht genau das Gegenteil der politisch vereinbarten Diversifizierung des europäischen Energiemarkts. Fraglich ist zudem, wie dies überhaupt politisch umsetzbar ist. Denn die EU-Kommission kann nicht private Unternehmen – etwa Energielieferanten – zwingen, nur noch US-Produkte zu erwerben.

Ein befürchteter Anstieg der Preise kann von Brüssel nicht ausgeschlossen werden. Aktuell ist beispielsweise Flüssiggas aus den USA teurer als von russischen Anbietern. Die Preisgestaltung wird zwar von der Länge der einzelnen Lieferverträge abhängen, doch diese dürften wiederum die Flexibilität beim Einkauf reduzieren. Der EU-Rechnungshof hat erst im vergangenen Jahr vor einer solchen Entwicklung im Gassektor gewarnt. „Angesichts ihrerAbhängigkeitvon Gas aus dem Ausland wird die EU nie einfach die Hände in den Schoß legen können, wenn es um die Versorgungssicherheit geht“, schrieb damals ERH-Prüfer João Leão in einer Aussendung. Er empfahl, auf unterschiedliche Anbieter und den zeitlich flexiblen Einkauf auf den Märkten zu setzen.

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