Kathrin Witsch • 19. September 2024
Strahlend weiße Strände, türkisblaues Meer und seltene Mangrovenwälder machen die Küste von Kilifi zu einem der beliebtesten Reiseziele Kenias. Die Leute in der Region leben von Touristen, die herkommen, um sich seltene Schildkröten, Korallen und Vogelarten anzusehen.
Entsprechend skeptisch blickt man hier auf die Pläne der Regierung. In dem Naturschutzgebiet soll das erste Atomkraftwerk des Landes gebaut werden. Der Widerstand ist groß. Vor allem in dem kleinen Fischerdorf Uyombo.
„Wir haben keine nukleare Infrastruktur, ein instabiles Stromnetz und kein Regelwerk für den Umgang mit Atommüll oder gar Störfällen“, kritisiert Umweltaktivist Anthony Kingi im Gespräch mit dem Handelsblatt. Der 54-Jährige ist einer der Dorfältesten in Uyombo.
Vor zwei Jahren hat er den Kampf gegen Kenias erstes Atomkraftwerk zu seiner Hauptaufgabe gemacht. „Wir kriegen überhaupt keine Informationen. Der ganze Prozess läuft hinter verschlossenen Türen und absolut intransparent ab“, kritisiert er. Gemeinsam mit anderen lokalen Organisationen und Unternehmen hat er eine Petition gestartet, um den Bau des Meilers zu stoppen.
In der 500 Kilometer entfernten Hauptstadt Nairobi zeigt man sich davon unbeeindruckt, „Kilifi ist der beste Standort“, beharrt Basset Buyukah, einer der führenden Manager in Kenias nationaler Atombehörde „Nuclear Power and Energy Agency“ (Nupea). „Wir werden ein Atomkraftwerk bauen, das steht außer Frage.“ Viele andere Länder in Afrika wendeten sich schließlich auch der Atomkraft zu, „und Kenia darf hier den Anschluss nicht verpassen“.
Obwohl unter dem Strich weltweit mehr Atomkraft vom Netz genommen als neu hinzugebaut wird, kündigen immer mehr afrikanische Staaten neuerdings den Einstieg in die nukleare Energieerzeugung an. Bislang steht das einzige Atomkraftwerk auf dem Kontinent in Südafrika.
Nach dem neuen World Nuclear Industry Status Report haben insgesamt zehn afrikanische Länder Pläne zum Bau eines Atomkraftwerks. Vertreter aus Nigeria, Burkina Faso, Mali und Niger besuchten im März dieses Jahres sogar zum ersten Mal die von Russland ausgerichtete Messe Atomexpo. Insgesamt 16 Länder haben mit dem russischen Staatskonzern Rosatom Kooperationen zur Nutzung von Atomkraft vereinbart. Ob zur Energieerzeugung oder zur Forschung.
Der World Nuclear Industry Status Report wird unter anderem von der Heinrich-Böll-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung in Auftrag gegeben.
Erst Ende August verkündete Ghana im Rahmen der US-Afrika-Nuklear-Konferenz ein Abkommen mit dem Unternehmen Nuscale Power zum Bau eines sogenannten Small Modular Reactors (SMR). Die elektrische Leistung der Mini-AKWs ist im Vergleich zu einem herkömmlichen Meiler deutlich geringer. Das soll mehr Sicherheit und weniger radioaktiven Abfall versprechen. Und dürfte in den oft noch kleinen Stromnetzen vieler afrikanischer Länder deutlich besser zu managen sein.
Man könne einen kleinen modularen Reaktor ausbauen, um das Problem der Energielücke zu lösen, und dann langfristig größere Reaktoren planen, zeigte sich auch der Leiter der nigerianischen Atomenergiekommission, Yusuf Aminu Ahmed, vor Kurzem überzeugt. „Ich denke, das wäre eine Lösung für den afrikanischen Kontinent.“
Bislang ist weltweit allerdings noch kein SMR-Pilotprojekt am Netz. Während Ghana, Nigeria und Ruanda auf die Mini-Reaktoren warten, planen Äthiopien, Uganda, Sudan, Tansania und andere direkt mit konventionellen Anlagen. Kenia hält sich beide Optionen offen.
„Es ist ein Hype. Viele Vereinbarungen wurden schon vor Jahren unterschrieben, und es ist seitdem nicht viel passiert“, sagt Mycles Schneider, Hauptautor des jährlichen World Nuclear Industry Status Reports. Einzig Ägypten, die größte Volkswirtschaft Afrikas, hat seine Ankündigungen bislang in die Tat umgesetzt. Dort baut der russische Staatskonzern Rosatom seit diesem Jahr ein 4,8 Gigawatt leistungsstarkes Atomkraftwerk. 2030 soll es in Betrieb gehen.
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Der Grund für die neu entdeckte Atom-Affinität: Die Bevölkerung auf dem afrikanischen Kontinent wächst rasend schnell, und mit einer größer werdenden Mittelschicht steigt auch der Stromhunger. „In Ländern wie Kenia bekommen immer mehr Menschen Zugang zu Strom. Noch haben die meisten kaum elektrische Geräte wie Kühlschrank, Klimaanlage oder E-Auto. Aber das wird sich schnell ändern“, erklärt Experte Martin Kitetu von der panafrikanischen Energieberatungsagentur EED Advisory. Kenia ist eines der Länder, in denen die Stromnachfrage am schnellsten wächst.
Waren vor 20 Jahren gerade mal 10 Prozent der Kenianerinnen und Kenianer überhaupt ans Stromnetz angeschlossen, sind es mittlerweile 75 Prozent. Die Nachfrage wächst pro Jahr im Schnitt um knapp fünf Prozent. Nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur (IEA) könnte Kenia 2027 schon mehr Strom verbrauchen, als es aktuell erzeugt. Das System ist auf Kante genäht: „Kenia braucht dringend mehr stabile und flexibel steuerbare Energieerzeugung“, stellt Kitetu klar.
Geht es nach der Regierung, soll diese stabile und flexible Energie aus einem Atomkraftwerk kommen. Nupea zufolge soll der Bau des Kraftwerks, ob SMR oder konventionell, zwischen 2027 und 2029 starten – spätestens 2034 soll die Anlage in Betrieb gehen.
Kostenpunkt: rund 500 Milliarden kenianische Schilling, umgerechnet 3,4 Milliarden Euro. „Wenn Kenia sich industrialisieren will, brauchen wir mehr Grundlastkraftwerke. Kohle und Gas sind zu schmutzig, Wasser in Zeiten des Klimawandels nicht verlässlich und Geothermie nicht flexibel genug“, erklärt Nupea-Manager Buyukah.
Das ostafrikanische Land ist mit einem Anteil von knapp 90 Prozent erneuerbarer Energie an der Stromerzeugung einer der Vorreiter weltweit. Das hat Kenia hauptsächlich seinen Geothermie-Vorräten zu verdanken; von den möglichen 10.000 Megawatt nutzt das Land aktuell nur zehn Prozent.
In den nächsten Jahren soll das deutlich mehr werden. Die zweitgrößte Energiequelle ist Wasserkraft, mit etwas Abstand kommen Wind, Solar und zehn Prozent Öl und Gas dazu.
Schon mit diesem Energiemix sei das Stromnetz allerdings überfordert, sagt Musa Wafula. Der Kenianer hat jahrelang für Kenya Power gearbeitet, bevor er zu einem der größten Energieversorger der USA gewechselt ist. „Das Netz ist in einem desolaten Zustand und viel zu klein und instabil, um ein Atomkraftwerk zu managen“, warnt er.
Das kenianische Netz ist mit einer Gesamtkapazität von gerade mal drei Gigawatt tatsächlich recht klein. Zum Vergleich: Das deutsche Stromnetz hat eine Kapazität von insgesamt 232 Gigawatt. Während das deutsche Netz als eines der stabilsten weltweit gilt, sind landesweite Blackouts über mehrere Stunden in Kenia keine Seltenheit.
Anfang September gab es gleich zwei Stromausfälle innerhalb von nur einer Woche, die fast das gesamte Land über mehrere Stunden lahmlegten. Auslöser waren laut dem Energieministerium Störungen an mehr als einer Übertragungsleitung.
Anders als in Deutschland führt das in Kenia häufig zu massiven Problemen, weil der Großteil des Systems nicht durch Ersatzleitungen abgesichert ist. Der einzige Grund, warum das tägliche Leben währenddessen nicht komplett zusammenbricht, sind tausende Megawatt in Dieselgeneratoren, die Krankenhäuser, Flughäfen und Fabriken am Laufen halten. Auch im vergangenen Jahr gab es drei landesweite Blackouts. Regional sind es oft noch mehr.
„Wir haben hier pro Tag mindestens drei bis vier Stromausfälle“, berichtet ein Hotelbesitzer aus Watamu, einem Küstenort in der Region, in der das erste Atomkraftwerk Kenias entstehen soll. Eine offizielle Bestätigung für die Pläne der Regierung habe er bis heute nicht gesehen, „wir haben eher zufällig davon erfahren“.
Die lokalen Unternehmer haben Angst um ihr Geschäft, aber auch ein großes Misstrauen gegenüber der Regierung. Deswegen wollen sie anonym bleiben.
„Hier in Kenia gibt es ein großes Korruptionsproblem“, sagt ein Hotelier mit deutschen Wurzeln. Das ist ein gut dokumentierter Fakt. Immer wieder verschwinden Regierungsgelder, werden angekündigte Projekte nicht fertiggestellt, weil plötzlich das Geld ausgeht.
Von 180 Ländern in dem Transparency-International-Korruptionsindex schafft es Kenia gerade mal auf Platz 126. Er habe per se nichts gegen Atomkraft, „aber hier herrschen andere Standards, das sieht man auch an dem schlechten Zustand des Stromnetzes“, so der Unternehmer. Ein Atomkraftwerk sei da in seinen Augen nicht die beste Idee. Gerade mit Blick auf den Umgang mit radioaktivem Abfall. Einheimische Unternehmer und Energieexperten äußern ähnliche Bedenken.
Ein stabiles Netz ist Voraussetzung für ein sicheres Atomkraftwerk, sagt Experte Christoph Pistner vom Ökoinstitut. Ein Atomkraftwerk muss rund um die Uhr gekühlt werden, sonst kann es im schlimmsten Fall zu einer Kernschmelze mit katastrophalen Folgen für Mensch und Umwelt kommen. „Die Stromversorgung der Kühlsysteme wird normalerweise über das externe Netz bereitgestellt“, erklärt Pistner. Dafür brauche es aber eine zuverlässige Stromversorgung. „Wenn die nicht gegeben ist, ist das ein zusätzlicher Risikofaktor.“
Den schlechten Zustand des Stromnetzes streitet selbst Nupea-Manager Buyukah nicht ab: „Aber wir sind optimistisch, dass unser Netz so weit ist, wenn das Atomkraftwerk in Betrieb geht“, beteuert er.
Natürlich wäre ein kleiner Reaktor (SMR) von der Größe her deutlich besser für das kenianische Netz geeignet, so Buyukah. Während ein konventionelles Atomkraftwerk in der Regel bei einer Kapazität von 1000 Megawatt startet, sind SMR-Konzepte eher auf 300 bis 600 Megawatt ausgelegt. Start-ups wie das deutsch-kanadische DualFluid, dass seinen ersten Versuchsreaktor in Ruanda bauen will, kämpfen aber angesichts der angespannten Wirtschaftslage mit Finanzierungsschwierigkeiten.
Atomenergie sei eine Möglichkeit, um mehr flexible Energieerzeugung zu gewährleisten, stellt Experte Kitetu klar. Die andere sei ein deutlich stärkeres internationales Netz mit Anbindung an die umliegenden ostafrikanischen Staaten, „wie es beispielsweise das interkonnektive Netz in Europa sehr gut beweist“. Die Stromverbindungen in Nachbarländer wie Tansania, Uganda oder Äthiopien stehen allerdings gerade erst am Anfang.
Kritiker sind überzeugt, dass der Nuklear-Hype vieler afrikanischer Staaten eher politisch motiviert ist. Auch, weil gerade Russland und die USA in den afrikanischen Ländern aktiv für Atomkraft werben. Je nach Rechnung kann Atomstrom in Europa zwar immer noch etwas günstiger sein als erneuerbare Energie in Kombination mit Speichern.
Aber „wenn man auf die zusätzlichen Infrastrukturinvestitionen in vielen afrikanischen Ländern schaut, lässt sich die Stromnachfrage mit dem Ausbau dezentralisierter Erneuerbarer, sprich Wind und Solar mit Speichern, deutlich ökonomischer decken“, so Pistner. Gleichzeitig ein Atomkraftwerk zu bauen und das Stromnetz zu verstärken bedeute immerhin doppelten Finanzbedarf.
Nupea-Manager Buyukah bleibt dabei: Atomenergie sei die günstigste und grünste Alternative, um einen Teil der wachsenden Stromnachfrage zu decken. Auch wenn Geothermie weiterhin im Zentrum des kenianischen Systems stehen soll.
Wie das milliardenschwere AKW-Projekt in dem hochverschuldeten Staat finanziert wird, ist noch nicht geklärt. Ein Deal mit China, Südkorea oder den USA könnte laut Nupea eine Option sein. Ähnlich hat es auch Ägypten gehalten: 25 Milliarden Dollar hat Russland der nordafrikanischen Wirtschaft vorgestreckt, was ungefähr 85 Prozent der Gesamtkosten abdeckt. Den Kredit zahlt Ägypten durch den Verkauf des Atomstroms über die nächsten 22 Jahre an Russland zurück. Zinsen inklusive.
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