11. Januar 2024
In einer Sache scheint sich die Energiebranche sicher zu sein: Die Zukunft ist dezentral. Das gilt für das hauseigene Solardach – inklusive Batteriespeicher – ebenso wie für die fortgeschrittenste Form der Energiegewinnung, dem Atomstrom. Statt riesiger Meiler sollen künftig kompakte, modulare Reaktoren die nötige Energie liefern. Günstig und CO2-frei.
Nun stellt sich heraus: „Small modular reactors“ (SMRs) kranken an denselben Problemen wie ihre größeren Verwandten. Der Traum von den Hosentaschen-AKWs ist nun bei einem Pionier der Technologie erst einmal geplatzt. Gemeint ist NuScale Power, die bisher einzige Firma, deren Mini-Reaktoren von den US-Behörden auch genehmigt sind.
Die Probleme fingen im Herbst an. Im Oktober warf Iceberg Research der Firma vor, dass ein gefeierter Deal für ein SMR-Projekt nur eine Luftnummer sei, während der einzige weitere Auftrag NuScales glaubhaft wirke, aber vermutlich ebenso scheitern dürfte. Als Leerverkäufer war Iceberg Research natürlich daran interessiert, dass NuScales Aktienkurs abschmiert. Trotzdem bewahrheitete sich der Verdacht.
Tatsächlich kündigten das Versorger-Konsortium Utah Associated Municipal Power Systems und NuScale im November ihren Deal auf. Eigentlich hätte NuScale aus mehreren SMRs ein 462-Megawatt-Kraftwerk errichten sollen. Doch die immer weiter steigenden Kosten vergraulten die kommunalen Versorger.
Ursprünglich sollte der Strom aus den Mini-Reaktoren 58 US-Dollar je Megawattstunde kosten. Aufgrund höherer Baukosten aber kletterte der Preis bis auf 89 USD/Megawattstunde, ein Sprung von enormen 53 Prozent, so eine Analyse der Energiewirtschafts-Denkfabrik IEEFA im vergangenen Januar. Eigentlich würde der Preis sogar bei fast 120 USD/Megawattstunde liegen, gäbe es da nicht milliardenschwere Steuererleichterungen und Subventionen, merkte das Institut damals an.
Zum Vergleich: In Deutschland kostet eine Megawattstunde im Stromgroßhandel derzeit um die 100 Euro, also etwas mehr als 109 US-Dollar, wie Daten der Bundesnetzagentur zeigen. In den USA liegen die Preise deutlich niedriger. Der Energieagentur EIA zufolge wechselte eine Megawattstunde Strom Ende Dezember für Preise zwischen 27 und 54 Dollar - je nach regionalem Verteiler - den Besitzer.
Nun steht NuScale mit nur einem einzigen Auftrag da. Der wiederum, kritisierte Iceberg Research, dürfte sich ebenfalls kaum bewahrheiten. Mit den NuScale-Reaktoren will das Data- und Kryptomining-Unternehmen Standard Power zwei Standorte mit Energie versorgen. Kapazitätsumfang: fast zwei Gigawatt.
Laut Iceberg Research aber braucht Standard Power mit seinen gerade mal 30 Mitarbeitern gar nicht so viel Strom. Die zwei Rechenzentren der Firma in Ohio haben derzeit nur eine Kapazität von 110 Megawatt, die bis 2025 sukzessive ausgebaut werden soll, aber nur auf knapp 1,2 Gigawatt. Iceberg Research jedenfalls zweifelt erheblich daran, dass dieses Projekt letztlich der große Wurf für NuScale wird.
Die nächste schlechte Nachricht folgte an diesem Montag. Wie Reuters berichtete, entlässt NuScale 154 Vollzeit-Mitarbeiter, rund 28 Prozent der Angestellten. Damit sollen jährlich etwa 50 bis 60 Millionen US-Dollar eingespart werden. Nach einer Revolution im Energiesektor sieht das nicht mehr aus.
Fakt ist zwar weiterhin, dass weltweit wieder vermehrt Reaktoren gebaut werden. Daten der World Nuclear Association zufolge befinden sich 62 Reaktoren in Bau, 111 in Planung, und auch an Vorschlägen für weitere Meiler mangelt es ebenso nicht.
Dabei aber geht es um die üblichen Reaktoren, mit Tausenden Megawatt Leistung. SMRs sollten eigentlich die Zukunft sein – dank modularer Bauweise kostengünstig, dank geringer Größe beliebig einsetzbar.
Das Beispiel NuScale zeigt jedoch, dass auch die kleinen Meiler an den Problemen der großen kranken können. Reaktoren sind teuer, und in fast jedem Fall teurer als geplant. Ursprünglich sollte das 462-Megawatt-Kraftwerk 5,3 Milliarden US-Dollar kosten. Später korrigierte NuScale diesen Betrag aufgrund steigender Baumaterialpreise auf 9,3 Milliarden Dollar.
Kostenexplosionen bei Nuklearprojekten sind die Regel, nicht die Ausnahme. Vergangenes Jahr beispielsweise gingen zwei neue Blöcke im Atomkraftwerk Vogtle im US-Bundesstaat Georgia endlich in Betrieb – sieben Jahre später als geplant, und mit Baukosten von über 31 Milliarden Dollar zudem mehr als doppelt so teuer wie geplant. Dabei sollte auch hier eine modulare Bauweise die Kosten beherrschbar machen.
Im Dezember wiederum verabschiedete sich China General Nuclear Power (CGN) aus dem Projekt Hinkley Point C. Eigentlich sollte das Unternehmen als Juniorpartner des französischen Versorgergiganten EDF die mittlerweile 41 Milliarden Dollar teure Erweiterung des AKWs nahe der britischen Ortschaft Bridgwater mittragen. Doch eine Vertragsklausel erlaubte es den Chinesen, die Finanzierung einzustellen – wenn die Kosten zu hoch werden.
Zudem bleibt eine Frage in der Atomkraft-Renaissance oft unbeantwortet: Wer soll all die Meiler, ob groß oder klein, letztlich bauen? Der unabhängige Energieberater Mycle Schneider, leitender Autor des „World Nuclear Industry Status Report“, kritisierte nach der Klima-Konferenz COP 28 gegenüber „N-tv“, dass viele Staaten zwar erklärt hatten, mehr Reaktoren bauen zu wollen, die fragmentierte Industrie dafür aber gar nicht die Kapazitäten habe.
So sei beispielsweise EDF schon mit der Instandhaltung der Reaktorflotte im Heimatland Frankreich überfordert. „Die Leistung des französischen Kraftwerksparks war im vergangenen Jahr ein absolutes Desaster. Es gab im Schnitt 152 Stillstandstage pro Reaktor, die Anlagen standen also knapp die Hälfte des Jahres still. Fünf Atomkraftwerke haben gar keinen Strom produziert“, monierte Schneider. Für Schweißarbeiten musste Personal aus den USA und Kanada eingeflogen, Ersatzteile in Italien hergestellt werden.
In jedem Fall zeigen die Nuklearprojekte der vergangenen Jahre, dass der Meilerbau selten nach Plan verläuft und der Strom letztlich teurer als gedacht wird. Das konterkariert den Kerngedanken der Atom-Renaissance: Strom, der nicht so schmutzig hergestellt wird wie in Kohlekraftwerken, der aber beständiger fließt als bei Solar- und Windkraftwerken, und gleichzeitig ökonomisch mit erneuerbaren Energien konkurriert.
Das scheint bislang weder bei großen Meilern noch bei SMRs zu klappen. Das Vertrauen, zumindest in NuScale, ist erschüttert. Davon zeugt der Kurs eindrucksvoll: Die Zulassung des ersten Reaktordesigns katapultierte NuScales Aktie noch im August 2022 auf fast 15 Dollar. Danach ging es nur noch bergab. Zuletzt war ein Anteil gerade mal 2,58 Dollar wert, ein Wertverlust von über 80 Prozent.
Einmal mehr haben sich Anleger hier von der Aussicht auf ein etwaigen technologischen Sprung leiten lassen. Ein Faktor aber hätte die Börse stutzig machen sollen. NuScales Weg an die Börse führte nämlich über einen Börsenmantel, einen sogenannten SPAC. Und bislang nutzten selten wirklich seriöse Firmen diese Vehikel als Weg ans Aktienparkett.
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