Der Spiegel, 29. November 2018
Von Georg Blume, Paris
Plötzlich ist sie wieder da, Ségolène Royal spricht an diesem Morgen Klartext, unüberhörbar und frech, so wie es die Franzosen lange Jahre von der ehemaligen sozialistischen Präsidentschaftskandidaten, Umweltministerin und Gastgeberin der erfolgreichen Uno-Klimakonferenz von Paris gewöhnt waren.
Doch Royal hat eine düstere Botschaft: „Die Atomlobby hat Recht bekommen“, sagt sie dem Radiosender France Inter. „Das bedeutet, dass sich in Macrons fünfjähriger Amtszeit nichts ändern wird. Und auch nicht in den darauffolgenden fünf Jahren, wenn er wiedergewählt wird.“
Für alle, die nicht zuletzt in Deutschland hofften, dass mit dem an anderen Fronten so mutigen Reformer Emmanuel Macron etwas Bewegung in den immer älter, brüchiger und deshalb umso gruseliger wirkenden französischen Atomkraftwerkspark kommt, war das eine ernüchternde Botschaft.
Denn ausgerechnet der junge Macron wird Europa einen alten, atomaren Schrottplatz hinterlassen, glaubt man dem französischen Atomsicherheitsexperten Yves Marignac: „Ende 2035 werden die 44 Reaktoren, die dann noch laufen, ein Durchschnittsalter von 49,5 Jahren erreichen“, sagt Marignac, Direktor des unabhängigen Weltenergie-Informationsdienst (WISE) in Paris. Für einen Sicherheitsmann wie ihn war das bisher unvorstellbar.
„Macron geht davon aus, dass mindestens drei Viertel der französischen Atomkraftwerke 50 Jahre und mehr in Betrieb bleiben, eine Annahme ohne jede technische oder genehmigungsrechtliche Basis“, ergänzt der international renommierte Pariser Energieberater Mycle Schneider.
„CO2-freie und billige Energie“
Royal, Marignac und Schneider - sie alle reagierten auf den neuen Energieplan, den der französische Präsident Macron am Vortag in Paris vorgelegt hatte. Der Plan ist Grundlage eines Energie-Gesetzes für die Jahre bis 2028, das im nächsten Sommer von der Pariser Nationalversammlung verabschiedet werden soll und vorher öffentlich zur Diskussion steht.
Zumindest was die Atomkraft betrifft, rechnet der Präsident offenbar mit wenig Kritik. „Die Atomenergie verhilft uns zu einer CO2-freien und billigen Energie“, sagte Macron, als müsse er dem nichts hinzufügen.
Tatsächlich steht der halbstaatliche Betreiber aller französischen AKW, der Energieriese EDF, vor einem Schuldenberg von 75 Milliarden Euro und müsste deshalb die Strompreise längst signifikant erhöhen - nur lässt das Macron nicht zu.
Auch hat EDF bisher die Kosten des Abbaus und der Renovierung alter AKWs nicht beziffert, die den eigenen Schuldenberg dramatisch zu erhöhen drohen. Doch auch das mahnt Macron nicht an, damit er weiter von billigen Strompreisen reden kann.
Macron gibt EDF viel Zeit
Royal wollte einst als Umweltministerin mit dieser schlechten französischen Routine brechen und EDF zum Handeln zwingen. Sie hatte deshalb im Jahr 2015 ein Gesetz durchs französische Parlament gebracht, das den Abbau des Atomanteils an der französischen Elektrizität von heute 75 auf 50 Prozent im Jahr 2025 vorsah. Damit hätte EDF in den nächsten sechs Jahren 14 Reaktoren schließen müssen. Was Milliarden von Euro gekostet hätte.
Macron gibt EDF nun viel Zeit: Erst bis 2035 sieht er die Schließung von 14 der heute insgesamt 58 französischen Reaktoren vor. Dafür müssen dann noch etliche Bedingungen erfüllt sein. EDF hofft vermutlich jetzt schon, die Reaktoren noch über viele Jahre mehr als bisher vorgesehen laufen lassen zu können.
Ganz nebenbei erklärte Macron, auch die hinter allen Erwartungen zurückgebliebene französische Plutoniumwirtschaft weiter fortzuführen. „Bis zum Jahr 2040“ solle die Wiederaufarbeitung der französischen AKW-Brennelemente in der Plutoniumfabrik in La Hague erfolgen, sagte Macron.
Energieberater Schneider wundert das: „Die Vorstellung, die maroden La-Hague-Anlagen könnten bis 2040 laufen, ist geradezu abenteuerlich“, sagt er. „Es ist nicht einmal absehbar, ob die Verdampfer - ein zentrales Element der Anlage - noch so lange durchhalten, bis neue zur Verfügung stehen.“
Schneider gibt zu bedenken, dass alle anderen AKW-Länder aus wirtschaftlichen Gründen aus der Plutoniumbranche ausgestiegen sind. „Frankreich kann sich das allein nicht mehr leisten“, glaubt der Experte.
„Eine blinde Unterstützung für die Atomkraft“
Bei so viel Atomkraft sind die französischen Ambitionen für die erneuerbaren Energien entsprechend gering. Nur zwei bis drei Milliarden Euro pro Jahr will Macron bis 2028 je in Sonnen- und Windenergie investieren.
Zum Vergleich: China hat 2017 ganze 110 Milliarden Euro in erneuerbare Energien investiert, und sogar die USA unter Trump haben mit 40 Milliarden Euro ein Vielfaches von Frankreich aufgebracht.
Kein Wunder also, wenn Greenpeace im Macron-Plan „eine blinde Unterstützung für die Atomkraft“ in Frankreich erkennt. Von einer Energiewende wollte selbst der Präsident nicht mehr reden und nannte seinen Plan lieber „ökologische Wende“.
Sicherheitsexperte Marignac mochte immerhin eine echte Neuheit erkennen: „Die Schließung von Reaktoren ist eine echte Premiere.“ Als erstes kommen die alten Meiler im elsässischen Fessenheim nahe der deutschen Grenze dran, 2020 sollten sie laut Macron endgültig vom Netz. Viele Deutsche aus der Nachbarregion wird das freuen.
Allerdings hatte schon Macrons Vorgänger Francois Hollande das Aus von Fessenheim in seinem Wahlprogramm versprochen - und das war im Jahr 2012.
Frankeich ist und bleibt ein Atomland.
See also:
• Azvision.az (Azerbaijan), "Frankreichs neues Energiekonzept", 29 November 2018