21 April 2025

Frankfurter Rundschau (Germany)

Der Hunger nach Atomkraft

Das Interesse an Atomstrom ist laut der Internationalen Energieagentur (IEA) so groß wie seit der Ölkrise in den 70er-Jahren nicht mehr. Mehr als 40 Länder streben den Ausbau der Kernenergie an, um die steigende Nachfrage nach Elektrizität zu decken.
Source : Frankfurter Rundschau: Der Hunger nach Atomkraft https://www.fr.de/politik/der-hunger-nach-atomkraft-kernenergie-erlebt-global-ein-comeback-93683928.html

von Sereina Donatsch • 14. April 2025

Es sei heute klar, dass eine Renaissance der Atomenergie im Gange ist und sie 2025 ein Rekordniveau in der Stromerzeugung erreichen werde, beobachtet der Exekutivdirektor der IEA, Fatih Birol, in einer Pressemitteilung zu einer im Januar veröffentlichten Studie.

Ein Trend, der sich durch globale Krisen wie den Ukraine-Krieg und die zunehmende Elektrifizierung verschiedener Bereiche verstärkt: Nicht nur die Industrie, sondern auch Elektroautos, Rechenzentren, Klimaanlagen und künstliche Intelligenz verbrauchen viel Strom. Um seinen rasant steigenden Energiebedarf zu decken, setzt Google auf Miniatomkraftwerke. Andere Internetkonzerne wie Amazon oder Microsoft ziehen ebenfalls nach.

Auch US-Präsident Donald Trump will die Branche wieder ankurbeln. Der weltgrößte Atomstromproduzent will seine eigenen Kapazitäten bis 2050 verdreifachen. Der Stromhunger der Welt ist gigantisch. Deshalb setzen immer mehr Staaten auf den Ausbau der Atomkraft. Ein Blick auf ein paar Zahlen: Zwischen 2004 und 2023 gingen weltweit 102 neue Reaktoren ans Netz und 104 wurden dem World Nuclear Industry Status Report 2024 zufolge stillgelegt.

Im Sommer vergangenen Jahres waren 59 Reaktoren im Bau und fast die Hälfte davon in China. Die Volksrepublik will mehr als 40 Atomreaktoren innerhalb der nächsten 15 Jahre in Betrieb nehmen. Andere asiatische Länder wie Bangladesch, Japan, Indien, Südkorea oder die Vereinigten Arabischen Emirate steigen wieder in die Kernenergie ein. Auch Russland baut fleißig, allerdings nicht im eigenen Land, sondern vor allem in Afrika, etwa wie in Ägypten oder Ghana, Asien, Europa und im Nahen Osten.

Die Kernenergie macht laut IEA knapp zehn Prozent der weltweiten Stromerzeugung aus – der Atomkraftanteil lag früher jedoch weit höher – und ist nach der Wasserkraft die zweitgrößte Quelle für emissionsarme Elektrizität.

Dreizehn der 27 EU-Mitgliedstaaten und das Vereinigte Königreich betreiben derzeit Kernkraftwerke. Das sind insgesamt rund 100 Reaktoren, mehr als die Hälfte davon stehen in Frankreich. Und der französische Präsident möchte es dabei nicht belassen. Er will bis zu 14 neue Großreaktoren und Minikraftwerke bauen.

Auch Länder wie Belgien, die Niederlande und Schweden haben die Laufzeiten älterer Meiler verlängert und planen teilweise große Ausbauprogramme. Polen, bisher atomstromfrei, will an der Ostsee einen Großreaktor bauen.

Doch die Kernenergie bleibt teuer und gefährlich, während erneuerbare Energien zunehmend erschwinglich werden. Die IEA weist außerdem darauf hin, dass der Ausbau der Kernkraftflotte vor allem auf Technologien aus China und Russland angewiesen ist, was langfristig Risiken in Bezug auf politische und wirtschaftliche Abhängigkeiten mit sich bringen könnte.

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